Darum geht’s

Ich stehe vor einer großen Entscheidung. Obwohl sie nicht einfach nur groß ist, sondern die größte meines Lebens. Ich habe derzeit die Wahl einen Fuß versteifen oder amputieren zu lassen.
Das beschäftigt mich nun eine ganze Weile. Ich hoffe mit diesem Blog anderen Hoffnung zu geben, wenn sie die gebrauchen können.

Das wichtigste zu Beginn: ich bin hauptberuflich Optimist. Das zeigt sich vielleicht nicht in allen Texten, aber ich bin der festen Überzeugung, dass alles immer irgendwie gut ausgeht. Und das auch dann, wenn man es selbst erst mal nicht so sehen kann. Außerdem liebe ich es mit meinen Mädels Fußball zu spielen und bin stolz darauf Teil einer tollen Mannschaft zu sein. Ich fahre Motorrad, weil ich es liebe den Wind, den Regen und die Sonne direkt zu fühlen. Es gibt dafür kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Ich bin unternehmungslustig, verbringe sehr viel Zeit mit Freunden, bin Familienmensch und entdecke gern Neues. Ich studiere im Master Dolmetschen, weil ich es liebe mit anderen Menschen zu kommunizieren und mit unbekannte Kulturen kennen zu lernen.

Ja, vieles davon steht derzeit auf Pause. Anfang Juli 2015 hatte ich einen schweren Motorradunfall. Kollision mit einem Auto. Glücklicherweise kann ich mich an nichts davon erinnern, nur daran, dass ich in den Heli gebracht werden sollte und dann kurz an ein CT und dann wurde ich in einem Krankenhausbett auf halb-Intensiv auf.

Ich war größtenteils unversehrt, nur das linke Bein unterhalb das Knies hatte etwas abbekommen, hauptsächlich der Fuß. Bei dem war fast nichts mehr wie es sich gehört, die Ärzte durften mit meinen Knochen puzzeln. Mein Wadenbein war durchgebrochen (nicht sprichwörtlich, sondern tatsächlich), genauso das Schienbein – hier mit offenem Bruch. Die Diagnoseliste ist lang. Dazu kam ein Schaden der Weichteile. Meine Haut, Muskeln, das Fleisch waren unendlich mitgenommen. In dem Krankenhaus, in dem ich gelandet bin, haben sie erst mal die Notfalloperation gemacht, die es ermöglichen sollten meinen Fuß vor einer Amputation zu bewahren. Das habe ich aber erst sehr viel später erfahren. Mein Knöchel und das Schienbein wurden durch einen externen Fixateur zusammen und in Form gehalten. Das ist so ein Metallgestell, das in den Knochen festgeschraubt wird. Der hat auch ein paar der Knochen in meinem Vorfuß aufgefädelt. Ich bekam einen Marknagel im Schienbein, der mir mein Leben lang erhalten bleiben wird. Allerdings war nach der ersten Versorgung, 2 Wochen und 3 OPs klar, dass dieses Krankenhaus den Schaden der Weichteile nicht beheben kann. Sie hatten bisher mit einem VAC die Wunde geschlossen, aber keine Heilung erzielt.

Der Professor vor Ort empfahl mir ein anderes Krankenhaus, dort gäbe es einen plastischen Chirurgen, der das garantiert hinbekäme – wenn nicht er, dann keiner. Einer solchen Empfehlung bin ich gern nachgekommen, denn ich wollte ja wieder auf’s Fußballfeld und das schnell. Zu dem Zeitpunkt hielt ich das noch für möglich. Ich wurde also verlegt.

Im neuen Krankenhaus kam direkt ein 4-er Ärzteteam zu mir. Ein Fußchirurg und der Rest aus der plastischen Chirurgie. Sie vielen beinahe aus allen Wolken, als sie die Ausmaße der Verletzung sahen. In der Beschreibung war es weniger schlimm und auch nur eine kleinere Fläche gewesen. Am nächsten Tag sollte ich operiert werden. Einerseits das Knochenpuzzle verbessern und einen neuen Fixateur anlegen, andererseits eine freie Lappenplastik. Die macht man in meinem Fall, um das Loch, das im Gewebe am Fuß entstanden ist, wieder zu füllen. Dafür nimmt man einen Teil eines Muskels, der wenig gebraucht wird und dessen funktion von seinen Nachbarn übernommen werden kann, und transplantiert ihn auf die beschädigte Stelle. Darauf kommt eine Schicht Haut, die man sich auch gut selbst spenden kann. Das nennt man Spalthaut. Die wird meist am Oberschenkel abgetragen und auf die Empfängerstelle gelegt. Dort angenäht oder getackert und verwächst dann da. Die Entnahmestelle der Spalthaut behandelt der Körper wie eine Abschürfung – die Haut kommt dann auch wieder. Der Muskel kam aus dem Oberschenkel. Da gibt es einen, den der Mensch fast gar nicht braucht – das kann ich bestätigen, ich habe nicht gemerkt, dass da was fehlt! Es ist schon der absolute Wahnsinn, was die Medizin und Ärzte heute alles machen können. Das war also der Plan. Nach 2 Wochen dürfte ich dann auch wieder nach Hause. Es sollte sich zeigen, dass ich mich wohl nicht so gern an Pläne halte.

Weil die Info des ersten Krankenhauses nicht zu 100% der Realität entsprach haben sie dann doch erstmal nur knochentechnisch operiert und die freie Lappenplastik 2 Tage nach hinten verschoben. Dann waren es 5 OPs. Und dann ging es los. Aus der Lappen-OP bin ich gar nicht mehr bewusst aufgewacht. Es kam zu Thrombenbildung und der Lappen (Muskel) wurde nicht mehr richtig durchblutet. Not-OP. Und weil es so schön war danach auch noch eine. Sie mussten den Lappen wieder entfernen und auch den ersten Mittelfußknochen. Der war ebenfalls nicht mehr durchblutet und musste raus. Einen Knochen, einen Muskel und ein bisschen Blut leichter fand ich mich auf der Intensivstation wieder. Der Plan hatte sich nicht viel verändert. Wir brauchten noch immer die Lappenplastik. Der nächste Muskel sollte aus dem Rücken kommen. Haut weiterhin vom Oberschenkel. Aber zunächst musste das Rätsel der Thromben geklärt werden. Habe ich vielleicht Thrombose? Dann wäre eine OP ein Risiko. 2 Angiographien und diverse Blutbilder später war der Grund nicht klar, aber Thrombose habe ich nicht. Immerhin. Die Intensivstation wurde für 2 Wochen meine neue Heimat. In der Zeit wurde ich etwa jeden 2. Tag operiert. Denn es gab mit dem neuen Lappen einen Bypass im Fuß. Und mit der Haut wollten sie erst mal warten. Zunächst sicher gehen, dass der Lappen jetzt bleiben kann. Konnte er zum Glück. Das nächste Problem war die Haut. Eigentlich eine vergleichsweise einfache OP. Eigentlich. Denn ich dachte mir, ein Keim wäre doch nicht schlecht… Der aber auch immer nur im OP bei ausführlichster Wundsäuberung erkennbar ist. Irgendwann aber war auch das geschafft und die Haut konnte drauf und schickte sich an sich wohlzufühlen. Seit ich auf Intensiv aufgewacht war, konnte ich mich kaum bewegen. Gut, das Bein durfte ich nicht bewegen. Und der Rest ging aufgrund der Schmerzen nicht. Schmerzen an der Hautentnahmestelle und auch im Rücken, wo mal ein Muskel war. Ich konnte mich nicht allein aufsetzen und nur den linken Arm wirklich bewegen. In etwa 4 Wochen mühsamer Anstrengung sollte ich das dann wenigstens wieder haben. Vielleicht schreibe ich mal etwas über die Schmerzen und meine Erfahrungen aus der Schmerztherapie.

Insgesamt war ich nach dem Unfall 2 Monate und 2 Tage im Krankenhaus bis ich endlich entlassen wurde. Immernoch mit Fixateur, mit Rollstuhl und starken Schmerzmitteln aber ich durfte nach Hause. 6 Wochen später wurde der Fixateur entfernt und ich durfte an Krücken. Wieder zwei Wochen später bekam ich eine Orthese, mit der ich auch auftreten durfte. Maximale Belastung: 10 kg. Das war Ende Oktober. Genauso sieht es heute noch aus, insgesamt habe ich in 9 Monaten nun 18 OPs hinter mir und kann mich ganz OK fortbewegen. Vom freien Laufen muss ich allerdings noch träumen.


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