Pause auf einem Bein

Die meisten Menschen haben gern recht und ich bin definitiv einer davon. Und allzu gern hätte ich meinen Ärzten und Therapeuten heute bewiesen, dass sie falsch liegen. Hm, jetzt, wo ich auf meinem Krankenhausbett sitze, muss ich doch zugeben, dass sie recht hatten/haben.

Damit meine ich auf keinen Fall irgendetwas medizinisches, das würde ich mir niemals rausnehmen. Aber ich hätte ihnen schon gern bewiesen, dass mein Körper das wohl schon alles kann, was ich machen möchte. Bisher ist ja nicht mal eine Woche seit der OP vergangen und ich fühle mich gut. Deshalb möchte ich auch durch die Gegend krückeln, meine Wasserflasche selbst ersetzen, ohne Hilfe zum Röntgen gehen, möglichst viel Physiotherapie machen. Die beste Zeit dafür ist jetzt. Finde ich. Die anderen nicht. Es sei beeindruckend, was ich jetzt schon wieder in der Lage bin zu leisten. Wie weit meine Krücken mich tragen. Meinen Ärzten ist durchaus bewusst, dass ich nur schwer im Bett zu halten bin. Aber (und das ist genau das Wort das mich so oft stört) eine Amputation ist kein kleiner Eingriff, noch dazu musste der Marknagel entfernt werden und dafür mussten sie ans Knie. Das muss also auch heilen und braucht jetzt zu Beginn halt auch Ruhe.

Ruhe ist ja so eine Sache. Klar, ein gutes Buch zu lesen ist toll! Aber (!) ich fühle mich körperlich fitter als ich bin. So ein Mist! Und wie zeigt sich das? Es zeigt sich gar nicht. Vielmehr macht es sich bemerkbar. Durch diese wundervolle Entwicklung der Evolution, die sich Schmerzen nennt. Tut dir was weh, hör auf damit. Mein Stumpf hat genau das gestern angefangen. Er möchte mehr Pausen, sonst tut er halt einfach weh. Nicht besonders stark, da habe ich kurz nach dem Unfall mehr aushalten müssen, aber er meldet sich eben. Zugegeben, ich war gestern viel unterwegs: 20 Minuten im Park spazieren, mehrfach zur Terrasse und die Gänge können ja auch mal interessant sein, dazu noch Physiotherapie und schwupps hab ich mir Schmerzen gekocht.

Aber erst seit letzter Nacht. Also habe ich gleich die Bolusfunktion beider Schmerzkatheter genutzt. Leider mit nur mäßigem Erfolg. Immerhin hat es gereicht, wieder einzuschlafen. Schmerzen sind aber genau das, was ich eben nicht haben soll. Ob stärkeres Kribbeln dazu zählt?

So zeigt mein Körper mir eben jetzt, dass wir Grenzen haben. Genau das, was ich nicht wollte. Grenzen haben ist mir zuwider. Auch jetzt noch! Dieser Prozess ist seit dem Unfall bestimmt schon angestoßen worden (jedenfalls hoffe ich das), aber da ist noch ganz viel Luft nach oben. Und an so etwas wie Grenzen werde ich jetzt mit der Amputation sicherlich öfter stoßen als vorher. Ein Gedanke, der mich erschauern lässt. Der Psychotherapeut meint, dass Grenzen etwas gutes sind. Sie zeigen uns auf, wann wir eine Pause brauchen. Ich meine, sie treiben uns an, weil sie zum überwinden da sind.

Jetzt gerade hat leider jemand anderes Recht.

 


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar