Geschichte: Der behinderte Weihnachtsengel

Christine Wolny

Der behinderte Weihnachtsengel

Das ganze Jahr war der Engel froh und zufrieden und lächelte trotz seiner Behinderung. Er konnte nicht so schnell wie die anderen fliegen. Ein Flügel war im Laufe der Zeit lahm geworden. Warum, wusste keiner. Irgendwann passierte es. Der Engel wurde langsamer beim Fliegen, und es kostete ihn viel Kraft, mit den anderen mitzuhalten. Dann gab er es auf, so schnell wie die anderen fliegen zu wollen. Er flog langsamer, und kam so auch an sein Ziel. Doch weite Flüge traute er sich nicht mehr zu, und so war er schon arm dran, denn er war ein Weihnachtsengel, der nur einmal im Jahr auf die Erde durfte und nun nicht mehr konnte.

weihnachtsengel
In der Adventszeit im Dezember wurde er traurig und immer stiller.
Er ließ sich bei den anderen Engeln nichts anmerken. Wenn sie mit ihm sprachen, lächelte er und tat so, als ob ihn nichts bedrücke. Doch das stimmte nicht. Leise weinte er ein paar Tränen, wenn er daran dachte, dass die anderen Engel in der Weihnachtszeit zur Erde hinab fliegen würden und er im Himmel bleiben müsste, weil der Weg dorthin zu weit für ihn war.

Der Nikolaus beobachtete den Engel schon eine geraume Zeit. Ihm war es aufgefallen, dass er nicht mehr so fröhlich war und selten sprach. Er arbeitete wie wild an der Fertigung der Geschenke. Dadurch wollte er sich ablenken von seiner Traurigkeit.

Eines Morgens nahm ihn der Nikolaus auf den Schoß und erkundigte sich bei dem Engel, warum er so niedergeschlagen sei. Beim Erzählen rollten dem Weihnachtsengel mit dem lahmen Flügel viele Tränen aus den Augen. 
Der Nikolaus holte sein schneeweißes Taschentuch aus dem roten Mantel und putzte liebevoll das Gesicht wieder trocken. Nun wusste er, was den Engel bedrückte, dass er Heimweh nach der Erde hatte, dass er sich wünschte, einige ihm lieb gewordene Kinder wieder zu sehen und dass er sich wegen seines lahmen Flügels den weiten Weg zur Erde nicht mehr zutraute.
„Ich nehme Dich auf meinem Schlitten mit,“ sagte da der Nikolaus zum Weihnachtsengel. „Du musst Dich nur warm anziehen und Dich gut bei mir festhalten. Dann kann Dir nichts passieren, und Du kannst nach allen Deinen lieben Kindern heimlich sehen. Wenn Dir das Schlittenfahren auf den Wolken gefällt, kannst Du jedes Jahr mit mir fahren.
Die Augen des Engels glänzten, und er drückte dem Nikolaus einen Kuss auf die Nase. So glücklich war der Weihnachtsengel.

Er sah allerliebst aus, als er auf den Schlitten stieg. Auf dem Kopf trug er Ohrenschützer aus weißem Fell. Dazu passend steckten die zarten Hände in einem wunderschönen, weichen Muff. Der Engel hatte mehrere Hemden mit goldenen und silbernen Sternen übereinander gezogen, und die Füße steckten in goldenen Stiefelchen. Der Fahrtwind war viel stärker als beim Selbstfliegen, und das Gesicht des Engels schmerzte. Er drückte sich immer näher an den Nikolaus und klammerte sich bei ihm fest, um nicht fort geblasen zu werden. Der Nikolaus nahm ihn auf seinen Schoß und hüllte ihn in seinen großen, roten Mantel ein. Nun fühlte sich der Weihnachtsengel warm und gut und schlief ein.

Er wachte erst wieder auf, als Nikolaus auf der Erde war. Alles war wie früher. Er sah die geschmückten Weihnachtsbäume, hörte die Kinder lachen, sah ihnen beim Spielen zu und war selbst froh und glücklich. Er war wieder auf der Erde und würde seine Aufgabe erfüllen wie jedes Jahr.


Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diese Geschichte liegen beim Autor (Christine Wolny). Veröffentlicht auf e-stories.de


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