Es ist wieder einmal an der Zeit zurück zu blicken. Ein Jahr ist es jetzt her, dass ich mir den Fuß amputieren lies. Definitiv ein Tag mit großen Auswirkungen auf mein weiteres Leben.
Damals wachte ich nach der OP auf und mein Fuß war weg – unwiederbringlich. Ich hatte Angst vor dem Moment gehabt, in dem ich diese Leere mit eigenen Augen sehen würde. Wahnsinnige Angst vor dem Fühlen dieser Leere. Ich erinnere mich noch lebhaft an die Minuten, in denen ich die Bettdecke wegklappte; ganz langsam, Zentimeter für Zentimeter. Zögerlich, ängstlich, neugierig. Und dann diese tiefe Erlösung, als ich begriff: Das war die richtige Entscheidung.
Bis heute ist dieser Gedanke geblieben. Nicht eine Sekunde habe ich es bereut diesen Schritt zu wagen. Kein einiziges Mal habe ich diesem Fuß hinterher getrauert, der auch nicht mehr mein Fuß war.
Damals war ich in „meiner“ Klinik, meinem sicheren Hafen in Unfallfolgefragen. Heute sitze ich in genau der selben Klink, meinem sicheren Hafen. Das erste Mal überhaupt werde ich bei meiner Entlassung aufrecht und freihändig aus dieser Klinik LAUFEN. Das erste Mal habe ich das Gefühl, nicht nochmal wieder zu kommen. Für die ein oder andere Sprechstunde vielleicht, zu Frau Dr. L., zu Besuch – das ist auch etwas anderes. Mein Gefühl sagt mir, dass es keine weiteren stationären Aufenthalte hier gegben wird.
Bei der Entlassung nach der Amputation war das anders. Das habe ich damals kaum jemandem gesagt. In mir drin wussste ich, dass das nicht das Ende ist. Warum ich es nicht ausgesprochen habe? Niemand sollte sich Sorgen machen. Sie hatten alle genug durchgemacht. Allen voran meine Eltern. Ich wollte ihnen Ruhe gönnen. Noch dazu war ich nie der Typ, der sich auf Gefühle verlassen hat. Heute vertraue ich viel mehr darauf. Wer sich selbst gut fühlt kann auch anderen ein gutes Gefühl geben. Manchmal hilft es sehr nur an mich selbst zu denken. Auch das ist ein Grund, warum ich meine Eltern völlig aus meiner Reha heraus halte. Nach diesen 22 Monaten Abhängigkeit muss ich etwas für mich machen und wieeder Abstand gewinnen. Ich weiß, dass es schwer für sie ist. Ich hoffe, dass sie durch den Abstand auch etwas abschalten können. Ich danke ihnen sehr, dass sie das so mitmachen! Überhaupt bin ich ihnen unendlich dankbar für die ganze Zeit. Sie waren da, als es mir dreckig ging. Sie gaben mir Halt. Sie haben meine Launen und Gefühlsschwankungen ertragen und jedes begründete und vor allem unbegründete Tief oder Hoch mitgetragen. Fast immer haben sie mir den Raum gegeben, den ich brauchte. Egal wie wenig sie meine Entscheidungen seit dem Unfall verstehen konnten, sie gehen diesen meinen Weg mit.
Es muss die Hölle auf Erden sein das eigene Kind leiden zu sehen und nichts dagegen tun zu können. Das ist nicht fair. Das sollte es nicht geben. Für die beiden würde ich gern die Zeit zurück drehen können, sodass sie diese Erfahrungen nicht machen müssen.
Leider geht das jedoch nicht. Doch geht es mir wirklich gut! Das ist alles, was ich dahingehend machen kann. Den leider verstehe ich nicht alle ihre Fragen zu 100% undä kann sie so nicht angemessen beantworten. Und auch mit Scheu kann ich wenig anfangen. Ich weiß dann nie wie ehrlich oder direkt meine Antwort sein darf, ohne dabei zu weit zu gehen.
Das ist neu in meinem Leben. Einiges hat sich verändert. Heute gehe ich durch die Welt. Einfach so. Dabei kann ich What’sApp Nachrichten verschicken. Dabei kann ich aus einer Flasche trinken. Das ist ein umwerfendes Gefühl. Heute kann ich 25 Minuten Fahrrad fahren oder auf dem linken Bein stehen. Ich kann durch eine Koordinationsleiter hüpfen und Trampolin springen. Ich kann an der Beinpresse einbeinig 50 kg drücken und Tischtennis spielen. Vor einem und auch vor knapp zwei Jahren war das alles undenkbar. Ich habe viel erreicht und bin stolz auf mich. Aber ich bin überzeugt, dass noch mehr geht!
Nach dem Unfall hätte ich niemals gedacht, dass es ansatzweise so lange dauern könnte wieder an Sport oder auch nur normale Bewegung zu denken. Auch nach der Amputation hatte ich nicht gedacht, dass es so lange dauern könnte. Dafür bin ich heute Meisterin der Umwege. Als ich Mitte Dezember wieder in die Belastung ging hatte ich auch nicht gedacht, dass es bis Mai dauern würde.
Vor einem Jahr war ich mir unsicher, wie es mit mir weiter gehen würde. Ich war mir nicht sicher meine Bewegugnsziele jemals zu erreichen. Ich war optimistisch. Dennoch war ich unsicher.
Heute bin ich mir sicher, dass ich sie erreichen werde. Und vielleicht geht noch etwas mehr.
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.