Danke mein Fuß

Von anderen habe ich gehört und gelesen, dass sie sich aktiv von ihren zu amputirenend Gliedmaßen verabschieden. Viele taufen ihren Stumpf, einige feiern eine Abschiedsparty, sogar von einer rituellen Beerdigung eines Beins habe ich gehört.

Gerade eine Abschiedsparty scheint doch etwas makaber, sprach mich aber an. Und ich habe überlegt solch eine Party zu geben. Man kann doch alles irgendwie feiern, wenn man denn möchte. Allerdings habe ich mich in meinem langen Entscheidungsprozess und auch bereits davor unbewusst schon stückchenweise von meinem Fuß verabschiedet. Mehrere Wochen mit Schmerzkatheter haben dazu geführt, dass ich weiß, wie es ist unterhalb des Knies kein Gefühl mehr zu haben. Monate mit Schmerztabletten haben ein potentielles Schmerzempfinden ausgestellt. Und dort, wo der Lappen sitzt, habe ich bis heute kein Gefühl. Man kann mir dort tatsächlich in den Fuß schneiden, ohne das ich etwas davon merke.

Als Tag für Tag die Gewissheit größer wurde, dass mein Fuß nicht einmal mehr annähernd das wird leisten können, was mal war, habe ich mich mit und mit auch an den Gedanken gewöhnt.

In Simbabwe sagt man „Ein abgefallenes Blatt kehrt nicht zum Baum zurück“. So ist es in der Tat und so verhält es sich auch mit einem amputierten Fuß. Er kehrt nicht mehr zum Bein zurück. Aber wie in der Natur der Frühling auf den Herbst folgt, so geht es auch bei mir weiter.

Und es wird sehr gut weiter gehen, nur eben nicht mehr mit meinen beiden angeborenen Beinen. Wie es so oft im Leben ist, ist mir erst nach dem Unfall aufgefallen, wie abhängig ich doch von meinen beiden Füßen war. Überall bin ich hin gelaufen, oder mit dem Rad gefahren. Selbst im Auto braucht man (noch) Füße, wenn auch einer bei Automatik ausreicht. Klar, kann ich durch Krücken mit meinen Armen laufen, doch wird dann das Tragen von Dingen deutlich komplizierter. Ja, frei auf zwei Beinen laufen zu können ist was wunderbares! Das war mir nie bewusst, ich habe es aber auch nie hinterfragt. Es ist so, wie mit den Sternschnuppen.

„Du siehts die leuchtende Sternschnuppe nur dann, wenn sie vergeht.“ – Christian Friedrich Hebbel, dt. Dramatiker und Lyriker

Mein Fuß und ich haben viele wunderbare Dinge erlaufen. Wir waren in allen deutschen Mittelgebirgen und vielen Wäldern wandern, sind in den österreichischen Alpen Ski und Snowboard gefahren, waren auf beiden Halbkugeln paragliden, sind auf die Gipfel mehrerer drei- bis viertausender gestiefelt, mit dem Fahrrad von Köln nach Berlin gestrampelt, viele viele Treppen gestiegen, waren in Neuseeland angeln und sind durch Madagaskar gestreift, haben Geysire in Island besucht und sind mit Hunden um die Wette gelaufen, ganz zu schweigen von den unendlich vielen Stunden Fußball. Wir haben gemeinsam im Sand gestanden, sind über glitsche Steine geschliddert und haben Lavafelder erkundet. Sogar ein Wettrennen auf dem Grund des indischen Ozeans können wir dank eines einfallsreichen Tauchlehrers verbuchen.

Es sind überwiegend gute Erinnerungen, die einem einfallen, wenn es zu Ende geht. Gelegentlichen Schmerz oder einen Ermüdungsbruch, vergesse ich jetzt gern. Aber auch das gehört dazu. Dieses eine Mal, war es dann doch zu viel. Man muss auch loslassen können.

An meinem linken Fuß festzuhalten bringt mich nicht weiter. Wir würden auf der Stelle treten und die Zukunft verpassen. Konfuzius sagt: „Bewältige eine Schwierigkeit und du hältst hundert andere dir fern.“ So habe ich es gehalten.

Danke, mein Fuß! Die vergangenen beinahe 27 Jahre mit 2 Füßen waren klasse! Ich bewältige diese Schwierigkeit, mache eine Schnitt (oder vielmehr: lasse ihn machen) und bin sehr gespannt, was die Zukunft für eine beinamputierte Märri bereit hält.


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Kommentare

  1. Ich hatte einen Tumor überhalb meines Sprunggelenkes und damals (2008) sollte bei mir eine Versteifung durchgeführt werden. Letztendlich hat sich mein Orthopäde für ein künstliches Sprunggelenk entschieden und ich habe zwar nur noch einen Teil meiner Beweglichkeit behalten, bin aber jetzt 8 Jahre später relativ glücklich mit der Lösung. Richtig toll dass du dich für die Amputation entschieden hast, alles andere hätte dich unglaublich eingeschränkt 🙂

  2. Danke, dass du deine Geschichte geteilt hast. Ich bin ganz deiner Meinung und habe meine Entscheidung trotz der Umwege keine Sekunde bereut.
    Es freut mich, dass deine Geschichte ein gutes Ende gefunden hat!

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