Höhen und Tiefen

Ein guter Monat ist vergangen, seit ich mir den Fuß habe amputieren lassen.
Das ist doch ein ganz guter Moment mal ein bisschen, einmal zu resümieren, wie es gelaufen ist. Und es lief verdammt gut bisher! 🙂

Das höchste Hoch seither ist meine Prothese.
Denn ich kann wieder so etwas wie gehen. Und nicht nur das. Tatsächlich soll ich mit nur einer Krücke laufen, statt wie bisher mit zweien. Schließlich gab es die ärztliche Freigabe zur Vollbelastung, dann soll das doch bitte auch so umgesetzt werden.
Gar nicht mal so leicht, wenn man 5 Monate erst gar nicht und dann nochmal 5 Monate nur eine 10 Kilo Teilbelastung hatte. Laufen fängt bei mir wohl im Kopf an. Aber es ist herrlich wieder etwas freier durch die Gegend zu humpeln. Wobei die Wahrheit eher zwischen humpeln und gehen liegt. Und das allerbeste an nur einer Krücke ist doch, dass man die andere Hand frei hat und damit Dinge tragen oder machen kann. Das ging beinahe zehn Monate überhaupt gar nicht.
Was für ein tolles Gefühl das doch ist BEIM Gehen die Jacke aufzumachen!

Von Tag zu Tag konnte ich mich mehr an meine Prothese gewöhnen und schon nach drei Tagen deutlich flüssiger und runder gehen, als am Tag der Anprobe. Gut, es war relativ anstrengend, weil ich sehr viel dabei gedacht habe. Denn mein Kopf möchte immer wieder aktiv daran erinnert werden, dass eine Vollbelastung auch voll in Ordnung ist. Nebenbei musste ich die ersten Tage auch ganz aktiv den Bewegungsprozess des Laufens mitdenken. Denn dabei schwingt man ja das Bein flüssig. Erst Bein nach vorne und dabei durchstrecken und zuerst mit der Ferse auf den Boden, dann abrollen. Klingt einfach – ist es aber am Anfang gar nicht. Mein Prothesenbauer hat es ganz schlicht formuliert: „Vergiss einfach die letzten zehn Monate.“
Ja, kein Problem… Das ist leichter gesagt als getan, aber es wird. Es heißt jetzt wieder Vertrauen zu meinem eigenen Bein aufzubauen und ihm langsam aber sicher mein volles Körpergewicht zuzutrauen. Alles andere als ein Spaziergang. An den Druck auf Wade und Schienbein muss ich mich noch eine Weile gewöhnen, aber wat kütt dat kütt. Nur Geduld braucht man dafür eben. Wo wir wieder bei meinem neunen Lieblingswort wären. Geduld. Wenn ich das nur schon tippe. Nein, die Geduld und ich, wir werden keine Freunde. Jedenfalls nicht in diesem Leben, aber wir werden uns dulden.

Dinge, die früher so selbstverständlich waren, wie die Jacke zu öffnen, oder ein Handy in der Hand zu haben, einfach so zu laufen, sind diese vermeintlich kleinen Dinge, die das Leben um so vieles schöner machen können.
Es sind auch genau diese Dinge, die ich immer als selbstverständlich betrachtet habe. Und so wird es den meisten gehen. Tut mir bitte den Gefallen und freut euch beim nächsten Mal daran, dass ihr sie einfach machen könnt! Denn es ist wirklich nicht schön sich überlegen zu müssen

  • ob man Freunde besuchen kann, weil sie im 4. Stock wohnen.
  • welchen Weg man nimmt, weil es vielleicht Treppen oder sehr steile Stücke gibt.
  • was man alles in den nächsten zehn Minuten braucht, aber die Hände nicht frei hat und kaum etwas mitnehmen kann.
  • welchen Aktivitäten man nachgeht, weil sie bestimmt mehr als anstrengend werden.
  • wann man genau duschen geht, weil man nicht allein vom Stuhl in die Dusche kommt.
  • ob man in die Uni gehen kann, weil die nächste Bushaltestelle einen Kilometer bergab entfernt ist.

und noch vieles mehr, das mir spontan gerade nicht einfällt. Manches davon, kann man leicht lösen (Freunde kann man sich schließlich auch einladen!), aber es ist dennoch etwas anderes.

Und dann gibt es diese Tage, die ich am liebsten bereits morgens in die Tonne kloppen würde. Zum Glück kommt das bei mir wirklich sehr selten vor, aber so einer war kürzlich. Morgens wach werden und beim aufstehen schon zu wissen, dass man am Besten liegen bleiben sollte. Dann kam da noch eine Portion Schmerzen dazu und der Tag war fast schon gelaufen. Denn Schmerzen so an sich, einfach so ohne Belastung, bin ich wirklich nicht mehr gewohnt. Naja, wer mich kennt, der weiß, dass ich das versuche weg zu laufen. Also bin ich wieder mehr gehumpelt, aber eine zweite Krücke? Kam für mich nicht in Frage.

Dafür gab es im Laufe des Tages dann die Quittung, denn irgendwann reichte schon sitzen für Schmerzen aus. Was heißt das, wenn es am nächsten Morgen noch nicht besser ist? Den Tag wohl doch mit beiden Krücken bestreiten und weniger belasten. Pfui bah! Geduld Geduld mein Kind. Irgendwann musste sich das Beinchen ja mal melden, denn das wäre  vielleicht dann doch nicht so ganz geheuer gewesen.

Auch wenn es mir nicht passt, werde ich auf meinen Körper hören und wieder einen Gang runter schalten. Denn ich möchte ja nicht, dass es nachher heißt: 2 Schritte vor und 3 zurück.

Zum Wochenabschluss gab es allerdings noch ein hohes Hoch. Ich war schwimmen! Nach elf Monaten war ich wieder sportlich aktiv. Tatsächlich bin ich geradeaus geschwommen und nicht im Kreis und die Umstellung von zwei auf eineinhalb Beine war auch gar nicht so groß. Drei Durchgänge à zehn Minuten mit reichlich Pause dazwischen reichten dann aber fürs erste Mal vollkommen aus. Leider haben mir meine Krücken-lauf-Armmuskeln weniger geholfen, als ich erwartet hatte. Dafür habe ich den fehlenden Rückenmuskel weniger vermisst, als erwartet.

Und was lernen wir aus diesem Monat?
Schwimmen kann Spaß machen!
Hör auf deinen Körper!
Auch Pausen führen langfristig zum Ziel!


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