3, 2, 1… Urlaub 

 

17:00 Uhr eine leichte Brise weht. Das blaue Meer verschmilzt mit dem mittlerweile blauen Himmel. Dort hängen nur wenige Wattewölckchen. Der Kiesstrand ist von Steilküste umgeben, darauf weiden auf grünem Gras vereinzelte Schäfchen. Die Badegäste des Tages tröpfeln jetzt langsam zu ihren Autos. Meine Eltern schwimmen. Ich genieße die Atmosphäre in Blackpool Sands.

Wo bin ich da wohl? Genau, ich war im Urlaub, aber das ist schon eine Weile her. Meine Eindrücke und Erfahrungen aus der Zeit mit einem Bein, zwei Krücken und drei Wochen Urlaub möchte ich jetzt endlich teilen. Szenenwechsel:

Was für eine abenteuerliche Fahrt. „Narrow lane“ – Die Beschreibung trifft hier den Nagel auf den Kopf! In Devon und Cornwall sind wir einige schmale Straßen gefahren. Rechts und links säumen hohen Hecken die Straße. Manch ausgewiesener Fußweg war breiter. Entgegenkommen dürfte eigentlich niemand, sonst muss einer rückwärts zur letzten sehr kleinen Haltebucht. Dafür sind genau das meist die schönsten Wege. Aber an diesem einen Tag hätte das Auto keinen Zentimeter breiter sein dürfen. Die Äste haben so am Auto gekratzt, dass ich überzeugt war, wir müssten den Wagen nach dem Urlaub neu lackieren lassen. Aber nein, alles in bester Ordnung! Meine Eltern sind die Distanz spaziert, sicherlich näher am Wasser entlang. Aber ich hatte unterwegs eine grandiose Aussicht, inklusive eines Abenteuers.

img_7204

Plötzlich war dort ein Tor über der Straße. Zum Glück nur ein Weidetor, aber ich war ja nur mit Krücken und ganz alleine. Es ging natürlich, war aber umständlich. Denn erst aus dem Auto raus, Krücken greifen, das Gatter aufschwingen und hoffen, dass es offen bleibt und wieder zurück ins Auto, Krücken verstauen, losfahren und auf der anderen Seite das Tor wieder schließen. Ja das dauert dann natürlich etwas länger als bei einem durchschnittlichen Zweibeiner. Das war noch eine  relativ kleine Urlaubsherausforderung.

Am selben Tag hatte mein Vater einen Aussichtspunkt auf den Kliffs entdeckt. Nichts wie hin! Naja. Der gute Weg ging langsam in Schotter über, mit Wiese, dann auch noch eine schmale eher zufällige Treppe hinauf. Die Stufen waren weder breit noch eben und eben alles außer schön, sodass die nur auf den Po zu bewältigen waren. Und endlich oben angekommen: nichts. Der Weg ging einfach weiter. Die Aussicht war ganz nett, aber es war kein Aussichtspunkt. Also ging es den beschwerlichen Weg „einfach“ wieder zurück.

In einem kleinen Ort habe ich einen Mann mit Oberschenkelamputation getroffen. Wir haben uns kurz unterhalten. Er ist Lehrer für Seekajak und er sprüht förmlich vor Lebensfreude. Im Seekajak merke man von der Prothese überhaupt nichts, es wäre wunderbar und ich solle es auf jeden Fall probieren. So sportlich wie ich aussähe wäre die Prothese ein Klacks für mich und außerdem: „Unterschenkelamputiert ist easy!“ Der Mann war schon cool und vielleicht probiere ich es wirklich mal aus. Und vielleicht komme ich sogar wieder, von ihm könnte man mit Sicherheit viel lernen.

Wie ist nun einmal so ist (Murphy’s Gesetz, ist ja allgemein bekannt), sind im Urlaub meine Krücken kaputt gegangen. Und es gibt wahrlich nur wenige Dinge, die einem einbeinigen Menschen im Urlaub schlimmeres passieren könnte. Wir waren gerade in einer Stadt unterwegs, als jeder meiner Schritte anfing zu klappern. Der Gumminoppen links war durchgewetzt und ich lief auf dem Alustab der Krücke.

20160910_221454

Mehrere Versuche es irgendwie provisorisch zu stopfen scheiterten. Aber es gibt ja glücklicherweise das Internet und ich konnte ein Sanitätshaus ausfindig machen. Dort gab es einen sehr netten Mitarbeiter, der sofort das Problem erkannte und irgend ein paar Krückenstopfen aus dem Lager holte. Weil er aber jeder Koch nach seinem eigenen Rezept kocht, waren diese Stopfen zu groß. Der Durchmesser der englischen Stäbe ist größer als der deutsche… Allerdings hat er welche gefunden die deutlich kleiner sind und auf meine Krücken passten. Ideal waren Sie nicht, aber es funktionierte. Und weil sie so klein und auch so dünn waren hat er mir gleich vier dieser Dinger mitgegeben.

20160909_160417

So könnte ich auch mal tauschen, wenn es sein muss. Und alles gratis! Letztendlich bin ich mit den vieren 2 Tage ausgekommen. Das ist nicht wirklich lang. Mein Trend geht allerdings zur Zweitkrücke fürs Bad. Die waren auch dabei und die Antirutsch-Stopfen kurzerhand im Alltag benutzt. Von wegen, die nutzen sich dann so schnell ab. Eine Woche habe ich sie alles andere als geschont und jetzt sind sie dreckig, aber nicht übermäßig verschlissen. Aber was lerne ich aus diesen Zwischenfall? Wenn man auf Krücken angewiesen ist und in den Urlaub fährt, sollte man ein paar Ersatz-Gummifüße für die Krücken mitnehmen. Jedenfalls wenn man das Land verlässt. Es nimmt ja schließlich auch fast jeder ein zweites Paar Schuhe mit.

Mein Opa hat eine spezielle Ansicht zum Thema Urlaub: „Warum fährt man überhaupt in den Urlaub? Um sich zu freuen, wenn man wieder zu Hause ist und wie schön es da ist.“
Aber der Urlaub steckt natürlich nicht nur voller Herausforderungen:
Ich liege oben auf der Höhe der Klippen bei 21 °C und Sonnenschein mit Blick an der chronischen Nordküste entlang. Weit draußen stößt der hellblauen Himmel auf den dunkleren Atlantik. Von links hat eine Landzunge in den Ozean, die am Ende den schroffen, steilen Felsen ins Wasser stürzt und die Wellen zur Brandung zwingt. Diese bäumen sich schäumend auf, als wollten sie wie zur Rache für diese Störung besonders viel dunkles Gestein abtragen. Denn bis sie auf Klippen oder weißen Sandstrand trifft, liegt die See ruhig da. Während ein sanfter Wind den Betrachter dieses Szene sanft über die Haut streicht, hört man hier oben das ferne Grollen der Brandung nur noch als Untermalung zu kreischenden Möwen, zwitschernden Vögeln und brummenden Käfern.
Es sind diese wunderschönen Momente, für die man in den Urlaub fährt, in denen man Erholung tankt, die einen vieles vergessen lassen.
Für mich waren diese Momente selten und der Urlaub nur wenig erholsam. Das viele Autofahren machte mir nichts, aber ab dem Nachmittag immer wieder raus aus dem Auto, rein in ein Bed & Breakfast, anfragen ob sie einen Schlafplatz haben, rein ins Auto… Das schlauchte ungemein.

Dazu sind die interessanten Orte alle samt natürlich nur fußläufig zu erreichen.Wir waren auch im St. Micheal’s Mount und im Minack Theater. Beides an einem Tag. Wir sind also locker 200-300 Stufen gelaufen! Auf dem Michael’s Mount war ich glatt 2 1/2 Stunden nonstop auf den Beinen. Beides neue Rekorde. Meine rechte Schulter fühlt es sich an,  als hätte ich eine Mischung aus eingeklemmter Sehne und Muskelkater. Meine eigenen Unzulänglichkeiten wurden mir im Urlaub wieder sehr bewusst. Zu Hause bin ich eingerichtet, weiß was wie geht, habe ein bisschen was angepasst. Das gab es im Urlaub nicht. Klar, der Duschstuhl war dabei. Der passt aber zum Beispiel nicht in eine schmale Badewanne, auch nicht längs. Beim Aussteigen aus dem Auto kam ich nicht an meine Krücken und musste warten bis mir sie jemand gab. Das gefällt gefiel mir nicht. Auch wenn es wenig Erholung bot, der Urlaub war dennoch schön!

So zeigt sich recht deutlich, dass Uralub  für die einen Erholung und für die anderen Anstrengung bedeutet. In meinem kontreten Fall hieß Urlaub aber am ehesten: raus aus der eigenen Komfortzone. Seit dem Urlaub bin ich auf ein paar meiner physischen Leistungen stolz. Nicht nur, weil ich jetzt unzählige Treppenstufen bewältigen und über 2 Stunden am Stück krückeln kann. Auch, weil ich in London gelernt habe, wie ich auch mit einem Bein und Krücken Rolltreppen bezwingen kann. Wenn man im Bahnhof einfach keinen Aufzug findet und die Treppen wirklich sehr lang sind, dann versucht man das eben. Und jetzt meistere ich auch dieses Monstrum.

Zwar konnte ich selten richtig abschalten und habe mich auch wenig ausgeruht, dennoch kann ich Urlaub auch dann empfehlen, wenn das Timing nicht unbedingt ideal erscheint. Dr. L. behielt auch hier Recht, als sie meinte: „Fahren Sie in den Urlaub. Die vollen drei Wochen. Urlaub ist gut für die Seele!“
Es hat definitiv gut getan mal raus zu kommen und etwas anderes zu sehen. Andere Luft zu schnuppern. Mit anderen Menschen zu sprechen. Die eigene Komfortzone zu verlassen ist meiner Meinung nach auch wichtig, manchmal kann man sich so auch selbst überraschen.

img_7213


Beitrag veröffentlicht

in

,

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar