Es geschah vor gar nicht langer Zeit in einer kleinen Stadt irgendwo in Deutschland. Viele Menschen liefen geschäftig durch festlich geschmückte Straßen und erledigten die letzten Besorgungen. Die ganz besondere Stimmung des Heiligen Abends lag in der klirrendkalten Luft. Kinderaugen glänzten erwartungsvoll, Weihnachtslieder klangen aus den Häusern.
Doch was war das? Auf einem kleinen Platz vor einem beleuchteten Weihnachtsbaum konnte man schon von weitem einen Menschenauflauf erkennen. Dicht drängten sich Frauen, Männer und Kinder um zwei Kamerateams, Reporter rannten mit Fotoapparaten herum, andere hielten Mikrophone in die Luft. In der Mitte des ganzen Rummels war ein junger Mann, so ca. 25 Jahre alt zu sehen. Er stand neben einem voll bepackten Fahrrad. Ein anderer Mann, wohl der Bürgermeister der kleinen Stadt sprach mit ihm: „Wir gratulieren ihnen zu ihrer außergewöhnlichen Erfolg und sind stolz auf sie. Eine Reise durch alle Kontinente alleine mit dem Fahrrad ist auch heutzutage noch eine Superleistung. Wie lange waren sie unterwegs?“ Der junge Mann antwortete: „Siebzehn Monate hat die Tour gedauert. Ich habe ungeheuer viel erlebt in dieser Zeit. Aber jetzt bin ich froh, dass ich es geschafft habe, an Weihnachten zu Hause zu sein. Diese Freude wollte ich besonders meiner Mutter machen.“ Und richtig, neben ihm stand eine Frau mit rot geweinten Augen. „Ich bin stolz auf meinen Sohn und seine Leistung. Vor allem bin ich glücklich, ihn wieder wohlbehalten bei uns zu haben. Wir hatten schon mehrere Tage nichts mehr von ihm gehört und uns Sorgen gemacht. Aber jetzt können wir unbeschwert feiern,“ schniefte sie halb lachend, halb weinend vor Freude ins Mikrophon. Die Leute um sie herum klatschten und freuten sich mit ihnen.
Wenige Straßen weiter gingen unterdessen drei Menschen ihres Weges, die so gar nicht glücklich aussahen. Es waren ein Mann mit einem kleinen Kind von vielleicht drei Jahren auf dem Arm und eine etwas ältere Frau. Die drei gingen zum Krankenhaus ganz in der Nähe. Im Krankenhaus suchten sie die Pflegestation für Komapatienten auf. Die Stimmung war bedrückend. Da lagen hinter Scheiben Menschen, die aussahen, als ob sie wach wären. Doch sie reagierten nicht. Irgendwie war es gespenstisch. Niemand lachte, obwohl in den Zimmern Kerzen brannten und auf dem Gang ein wunderschön geschmückter, glitzernder Weihnachtsbaum stand. Leise klangen Weihnachtslieder durch die Station.
Die kleine Familie, es waren Vater, Tochter und Schwiegermutter betraten ein Zimmer. Es stand nur ein einziges Bett darin. Und in dem Bett lag eine junge Frau, so ungefähr 25 Jahre alt. Sie hatte große Ähnlichkeit mit dem kleinen Mädchen auf dem Arm des Vaters. Die drei Besucher setzten sich an das Bett. Der Mann sagte traurig zu seiner Schwiegermutter: „Weißt Du noch, wie schön das letzte Weihnachtsfest war? Unsere kleine Lena hatte riesige Augen, als sie den Weihnachtsbaum sah. Und was hat sie sich über den neuen Teddy gefreut. Haben wir gelacht, als sie versuchte „Oh Tannenbaum“ zu singen. Und jetzt? Wer konnte ahnen, daß der schreckliche Unfall im Mai alles kaputt machen würde. Wenn doch Anna endlich wieder aufwacht. Warum musste sie so schrecklich mit dem Fahrrad stürzen?“ Seine Schwiegermutter konnte nur stumm nicken. Sie versuchte, ihre Tränen vor dem Kind zu verbergen. Plötzlich erklangen die ersten Töne von „Oh Tannenbaum“. Die kleine Lena lachte und fing an zu singen. Plötzlich erstarrte der Vater. Beinahe hätte er das Kind vom Schoß fallen lassen. „Schnell Mutter sieh doch, Anna hat die Augen richtig aufgemacht. Sie scheint uns zu erkennen. Tatsächlich sie hebt die Hand. Schnell den Arzt rufen.“ Er läutete Sturm mit der Klingel neben dem Bett. Einen Moment später kam der Stationsarzt ins Zimmer gestürmt. „Was ist passiert,“ rief er. „Schauen sie doch Herr Doktor, ich glaube meine Frau ist endlich aufgewacht.“ Wieder öffnete die junge Frau ganz kurz die Augen, um gleich darauf fest einzuschlafen. Der Arzt lachte: „Gratuliere, sie haben Recht. Ihre Frau ist aus dem Koma erwacht. Jetzt wird es bergauf gehen. Ein schöneres Weihnachtsgeschenk hätte sie ihnen wohl kaum machen können. Gehen sie ruhig nach Hause und feiern den Heiligen Abend. Ihre Frau wird jetzt tief und fest schlafen.“
Die drei bleiben noch ein paar Minuten sitzen, bevor sie sich auf den Heimweg machten. Sie strahlten geradezu vor Glück.
Elke Bartz, veröffentlicht auf www.forsea.de
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