Therapien III: Psychologische Therapieformen

Nach einem Unfall oder einer Verletzung sind verschiedene Faktoren wichtig für eine Rückkehr ins „normale“ Leben. Das sind nicht nur die Familie, Freunde und Ärzte. Es ist wichtig wieder fit zu werden und genau dafür gibt es verschiedene Therapien, denen der Betroffene sich aussetzen kann.

Mein Therapienpaket besteht aus

Physiotherapie
Ergotherapie und
psychologischen Therapieformen.

Über Physio- und Ergotherapie im Allgemeinen und meine Behandlungen im Besonderen habe ich ja bereits berichtet. Im dritten Teil dieser kleinen Reihe möchte ich mich mit psychologischen Therapieformen befassen.

Eine Amputation jeder Art bedeutet einen Einschnitt in das bisherige Leben und leitet einen neuen Abschnitt ein. Im wahrsten Sinne des Wortes. Das bringt natürlich verschiedene Veränderungen mit sich, vor denen man meiner Meinung nach keine Angst haben muss. Allerdings darf man sie nicht verleugnen und sollte sie annehmen und sich mit seiner neuen Situation beschäftigen. Das ist definitiv kein Spaziergang und erfordert immer wieder viel Kraft. So wie es für die Physis Angebote und Hilfe gibt – z. B. Physiotherapie und Ergotherapie -, kann man sich auch in Sachen Psyche unter die Arme greifen lassen.

So wie die Chirurgie mir mal sehr fremd war, hatte ich auch keine Ahnung von Psychotherapie. Ich verband damit lange Zeit geschlossene Anstalten und Zwangsjacken. Weil ich aber Freunde habe, die sich in diese Richtung ausbilden lassen wollten, habe ich dann mitbekommen, dass es doch gar nicht nur darum geht. Das wars allerdings. Ich lernte Menschen kennen, die eine Therapie brauchten. Einerseits, weil man das mal so daher sagt, wenn jemand einen Knall hat. Andererseits aber auch wirklich. Und dann kam der Tag an dem ich selbst plötzlich mittendrin steckte.

Die Tür zu meinem Intensivzimmer glitt auf und eine Frau in weißem Kittel trat ein. Ich hatte sie bis dahin noch nicht gesehen. Oder vielleicht konnte ich mich nur nicht daran erinnern, denn in der Zeit habe ich unzählige Weißkittel gesehen, die mich alle kannten, ich das von ihnen aber nicht behaupten konnte. Sie stellte sich mir freundlich vor und sagte, sie sei gekommen, um ein bisschen mit mir zu sprechen. Vorausgesetzt ich sei einverstanden. Und wie ich das war! Denn in der Zeit in der mich keine Narkose mehr auf Sparflamme laufen lies und kein Besuch da war, war es schon sehr langweilig. Eine Intensivstation ist eben kein Spielplatz, gell?

So freute ich mich über diese Abwechslung. Klar, sie stellte zunächst all die Fragen, die jeder gestellt hat. Wie es ginge, Schmerzen, überhaupt. Aber wir unterhielten uns auch über die ganz normalen Dinge, über die man sich auch außerhalb eines Krankenbetts unterhält. Sie kam jeden 2. / 3. Tag vorbei und es war eine willkommene Abwechslung. So hatte ich mir diese Therapie vorher nicht vorgestellt. An richtig viel davon kann ich mich heute nicht erinnern – ich schiebe das mal auf die nicht gerade geringe Dosis Medikamente. Jedenfalls plagten mich zu der Zeit manchmal unbeschreibliche Schmerzen. Teilweise waren sie so stark, dass ich nicht einen Ton rausbekam und mir nur unaufhaltsam Tränen übers Gesicht liefen. Am schlimmsten war es beim Verbandswechsel an der Spalthautentnahmestelle. Das habe ich meiner Psychologin irgendwann erzählt. Und sie schlug vor, dass wir ausprobieren könnten mich abzulenken. Das ließe den Schmerz nicht verschwinden, aber er wäre leichter zu ertragen.

Also sollte ich ihr beschreiben, wo ich jetzt gerade gern wäre. Was ich dort sähe, fühlte, hörte. Hin und wieder stellte sie fragen, damit ich noch mehr Details hervorbrachte. Auch warum ich gerade diesen Ort gewählt hatte. Noch immer ist es eine schöne Vorstellung, denn ich weiß noch, was ich ihr beschrieb. Es war eine Stelle, die ich beim Wandern auf der kleinen Insel La Réunion entdeckt hatte. Sie war friedlich, unendlich schön, mir ging es gut und ich war in toller Begleitung dort. dscn0206Seit Jahren träume ich mich immer wieder dorthin zurück. In Sachen Schmerztherapie sollte ich mir diese Szene vor Augen holen, aber noch vor dem Verbandswechsel, bevor die Schmerzen einsetzen. Die Idee gefiel mir, es brachte aber nichts. Man brauche Übung dafür, selbst wenn es einem gut geht, ist es nicht immer leicht sich ganz „wegzubeamen“. Und mit Schmerzen von hier bis Panama wird das nicht leichter. Akut hat es mir also nicht geholfen. Andere haben da vielleicht mehr Erfolg.

Meine Therapeutin kam über mehrere Wochen. Sie erlebte, wie es besser wurde und ich auf die Normalstation durfte. Sie erlebte aber auch, wie OPs nicht so liefen, wie ich es mir vorgestellt habe. Und so hat sie auch erleben müssen, dass ich sie erst ignorierte und dann bat zu gehen, weil ich mit niemandem reden wollte. Im Nachhinein wäre es vielleicht sehr gut gewesen, genau dann mit ihr zu sprechen, aber es ging nicht. Ich wollte im Selbstmitleid baden und endlich mal wieder allein sein (Achtung, das geht in einem Krankenhaus einfach nicht). Ich habe sie nicht wieder gesehen, denn danach ging sie in den Urlaub. Eine Kollegin kam. Wir plauderten meist über dies und das, oft über die Bücher, die wir gerade lasen. Ich wurde entlassen und Psychodocs waren für mich erst mal abgehakt. Ob diese Gespräche mir zu dem Zeitpunkt geholfen haben, weiß ich nicht. Sie haben mir jedenfalls nicht geschadet.

Die Zeit verging und es kam die Frage, ob ich mich für eine Sprunggelenksversteifung oder eine Unterschenkelamputation entscheide. Oh man, da hatte ich eine Menge Gesprächsbedarf. Und glücklicherweise Freunde (auch welche vom Fach), die mir zuhörten und unermüdlich Fragen stellten und mir so auch halfen meine eigenen Fragen zu beantworten. Sie alle haben mir damals einen Bärendienst erwiesen! Ich entschied mich für die Amputation und bat um begleitende Psychotherapie. Ich hatte Angst, nach der OP zu erkennen, dass die Entscheidung falsch war. Ich hatte Angst vor dieser Angst und wollte von vornherein sicher sein, dass dann jemand da ist, der mich unterstützen kann. Meiner Familie wollte ich das nicht aufbürden. Sie hatten und haben genug an der Situation zu knabbern.

Hatte ich bei meiner ersten Therapie immer in meinem Bett gelegen ging ich jetzt in ein Behandlungszimmer. Eingerichtet wie ein Büro in der Führungsetage. Wir saßen in bequemen Sesseln, es gab etwas zu trinken. Die Atmosphäre war entspannt. Und ich war froh, dass mir ein anderer Therapeut gegenüber saß. Mit der Therapeutin aus dem Sommer war ich gefühlt durch – abgearbeitet irgendwie. Der neue und ich haben gut harmoniert. Und auch hier finde ich das sehr wichtig. Man spricht über sich selbst und die eigenen Gefühle. Das geht nur dann gut, wenn die Chemie stimmt. Das tat sie und so war ich dreimal pro Woche dort. Die Einheiten waren mal 30 Minuten und mal eine Stunde lang, je nachdem wie es lief und wie ergiebig das Thema war. Zunächst sprachen wir über ganz allgemeine Dinge, mit der Zeit haben wir ‚den Schwierigkeitsgrad gesteigert‚. Warum diese Entscheidung und keine andere. Wie mein Umfeld das sieht, wie es weiter gehen wird. Irgendwann auch ganz speziell über die Menschen in meinem Leben und den Beziehungen zu ihnen. Am Anfang hatte ich wirklich sehr das Gefühl mein Therapeut wolle mir ein Problem einreden, dass ich nicht hatte. Seine Fragen und Reaktionen beinhalteten für mich dieses „aber Sie müssen doch ein Problem haben.“ Also fasste ich mir ein Herz und erzählte ihm von diesem Eindruck. So wie ich sonst immer Hausaufgaben hatte und mir über bestimmte Themen Gedanken machen sollte, so hatte er jetzt auch welche. Ich rechne ihm hoch an, dass er sich dieser Aufgabe angenommen hat.

Seine Schlussfolgerung im nächsten Gespräch war, dass er vielleicht etwas zu sehr nach einem Problem gesucht habe. Aber er müsse ja auch herausfinden, ob ich ein solches einfach nur sehr gut verbregen kann. Fazit war: kein Problem. Ich ging trotzdem weiter hin. Es war zwar jedes Mal sehr anstrengend, weil manche ehrliche Antwort davor von mir nie formuliert worden war. Ging ich dort raus war ich mindestens so kaputt wie nach einem Fußballspiel. Es ist gewiss nicht leicht sich mit seinem absoluten Inneren zu befassen, aber es schadet nicht. Im Gegenteil, es lohnt sich immer sich selbst etwas besser kennen zu lernen.

Diese Therapie ging „nur“ über drei Wochen, aber sie war intensiv. Ich hatte dazu gelernt und war mir sicher, im Bedarfsfall wieder die Hilfe für meinen Kopp in Anspruch zu nehmen. Das allein wäre mir schon viel Wert gewesen. Mit den auf die Amputation folgenden Wundheilungsstörungen, Entzündungen und Belastungsverboten erfuhr ich am eigenen Leib was Lea Schwamborn in „Geschichte der Prothetik – Prothesen als Hilfsmittel und Möglichkeit nach Amputationen am Gesellschafts- und Arbeitsleben teilzunehmen“ schreibt: „Insbesondere Amputationen von unteren Extremitäten bedeutet für viele Patienten nicht nur einen Verlust an Mobilität, sondern auch einen Verlust an Unabhängigkeit und Lebensqualität“.  Und mit der Zeit baute sich auch deshalb wieder ein akuter Gesprächsbedarf auf.

Gemeinsam mit Lea stieg ich in eine Gesprächstherapie ein. Wieder war es hart, es gab neue Eindrücke und Einflüsse, die ich wieder zuvor nicht ausgesprochen hatte. Manches hatte ich mal zu Papier gebracht, aber so mit jemandem zu sprechen, der im richtigen Moment die richtigen Fragen stellt, ist etwas ganz anderes. Nach unseren Sitzungen habe ich deutlich entspannter und besser geschlafen. Sie haben mir sehr geholfen!

Wenn es das nächste Mal soweit ist, werde ich mir wieder Hilfe holen. Denn in Sachen Heilung und erfolgreicher Prothesenversorgung kann man nicht nur physisch an sich selbst arbeiten, sondern auch psychisch. Statistiken zeigen, dass viele Betroffene Angst vor einer Amputation haben und auch vor „den physischen und sozialen Auswirkungen, welche der Verlust der Extremität mit sich bringen kann. Durch die starken Einschränkungen im funktionalen, sozialen und sportlichen Bereich verfällt ungefähr jeder Vierte in eine Depression oder in einen Angstzustand. Die hohe Zahl zeigt, dass eine frühzeitige psychosoziale Betreuung und Beratung sinnvoll ist, um den psychischen Auswirkungen entgegenzuwirken.“ (Qu: Schwamborn)

Die starken Einschränkungen empfinde ich als temporär und sozial kann ich diese gar nicht beobachten. Meiner Meinung nach lohnt es sich dennoch. Allerdings muss man selbst auch dazu bereit sein. Es ist nicht der leichteste Teil der Genesung nach einer Amputation.

Aber wer hat gesagt, dass es leicht ist?

Kommentare

Schreibe einen Kommentar