Sieg im Papierkrieg

Während der Karnevalstrubel die Jecken erfasst und mittlerweile wieder die Sonne vom Himmel strahlt habe ich mich zum Amt begeben. Dieser Weg war für mich wie der Aufbruch zur Unterzeichnung eines Friedensvertrags oder eben der Abschluss einer der Anträge, bei denen man über eine nicht unerhebliche Zeit hartnäckig bleiben muss. Und so blöd es in meinen Ohren klingt: Einen Fuß abgeben reichte nicht – für die Anerkennung meiner Behinderung musste ich einiges tun.

Vor allem ging es darum den Papierkriegern auf dem Amt klar zu machen, dass ich weniger gesund bin, als sie meinen. Diesen Krieg habe ich vergangenen Mai zu fechten begonnen und heute, ganze 10 Monate (!) später, bin ich (vorerst) erfolgreich aus ihm hervorgegangen. Als Deutsche mal zur Siegermacht zu gehören kommt auch nicht zu oft vor. Als ich den ersten Antrag ausfüllte, hatte ich nicht die leiseste Ahnung, dass ich so viel mobilisieren müsste, um in unserem Rechtsstaat mein Recht zu bekommen. Soviel vorweg: Mir blieb der Weg vors Sozialgericht zum Glück erspart. Viele müssen auch diese Schlacht schlagen, sofern sie nicht schon vorher die weiße Flagge hissten.

So langsam stellen sich einige Siege auf der Verwaltungsebene meines Lebens ein. Dieser hier betrifft meine erworbene Schwerbehinderung. Dass man im Club der Schwerbeschädigten, wie es in manch einem Jargon auch heißt, spielt, muss man den oben bereits eingeführten Papierkriegern übrigens selbst mitteilen. Als ich das erfuhr, staunte ich nicht schlecht. Zugegeben, bis zu meinem Unfall war ich gesund und munter und hatte mich nie damit auseinander gesetzt. Auch hier hatte ich das Glück jemanden zu kennen, der selbst erst durch eine Krankheit die fragliche Ehre hatte diesem Club beizutreten und einen entsprechenden Ausweis zu beantragen. Das ist ja erst mal nicht so schwer, ein bisschen im Internet surfen und einen Wisch ausdrucken. Den dann ausfüllen und per Post ans Gesundheitsamt schicken. Super, das sind alles Tätigkeiten, die man sitzend auch mit einem Bein hinbekommt.

Der ‚Erstantrag zur Feststellung einer Behinderung, eines Grades der Behinderung – weiterer – gesundheitlicher Merkmale sowie Ausstellung eines Ausweises‘ (leicht gekürzte Fassung des eigentlichen Namens) ist schlappe 5 Seiten lang, die dem Papierkrieger ermöglicht nach Aktenlage zu entscheiden, ob der Antragsteller nun wirklich behindert ist oder nicht. Wie das in Behördendeutschland nunmal so ist, muss man etliche Fragen zur eigenen Person, der Versicherung, der/den Gesundheitsstörung(en), Krankengeschichte etc. pp. beantworten. Eigentlich unterschrieb ich an diesem schönen Tag im Wonnemonat Mai bereits meine Kriegserklärung. Es sollte ein fairer Kampf werden und ich möchte niemandem (auch den Papierkriegern) im Grunde nichts vorwerfen. Für jemanden, der sich – je nach Fall – mehr oder weniger plötzlich damit abfinden muss als behindert zu gelten, ist es eher nicht leicht immer neue Schlachten zu schlagen und immer wieder zu hören: „Das sehen wir aber anders.“ Es ist anstrengend, dabei hat der Antragsteller eigentlich schon genug damit zu tun wieder so weit wie möglich zu genesen, oder etwa nicht? Dabei heißt es doch immer Papier sei geduldig. Ist der Bescheid, der dann ins Haus flattert, negativ hat man ja eine Widerspruchsfrist. Egal wie schlecht es einem dann geht, man muss sich binnen vier Wochen kümmern. Jetzt hatte ich ja die ganze Zeit das Glück nicht auf den Kopf gefallen zu sein und noch dazu psychisch nicht viel mehr als sonst auch in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein. So konnte ich immer zeitnah auf alles reagieren. Und fand es anstrengend. Ich kann mir vorstellen, wie das für jemanden sein muss, der an seiner Situation mehr zu knabbern hat. Und was machen eigentlich die, die für 4 Wochen faul (?) im Krankenhaus liegen, wenn besagter Brief zu Hause ankommt?

Mir ging es vom Kopf her gut und ich konnte mit jeder neuen Schlacht noch ein paar Körner oben drauf legen. Wenn der Gegner mit härten Bandagen kämpf, dann tue ich das auch.

Mein Erstantrag wurde relativ schnell beantwortet. Noch war er nicht bearbeitet, aber es kam nach zwei Wochen immerhin ein Schreiben, das den Eingang des Antrags bestätigte. Tja, dann ist den Damen und Herren Beamten noch das mitgeschickte Foto verloren gegangen. (Ich bin mir jedenfalls sicher genug eines beigelegt zu haben.) Man brauchte aber immerhin einen Monat mir dies mitzuteilen. Naja, so lang ich erst mal nicht persönlich dort antanzen musste, war es ja halb so wild. Ich war ja vermutlich ohne Prothese unterwegs und mit Stützen kann man anderen hervorragend auf den Kopf hämmern, das hätte ich dann gern gemacht. So lang man den Weg ohne Waffengewalt beschreiten kann, bin ich aber dagegen. So trudelte im August dann mein neuer rosa-grüner Ausweis ein. Immerhin. Dazu bekam ich den Ablehnungsbescheid zur Einstufung meiner Behinderung. Bevor ich hier weiter machen kann, ein kurzer Exkurs.

Auf dem Schwerbehindertenausweis sind Merkzeichen aufgedruckt, welche die Art der Beeinträchtigung angeben. Es gibt z. B. „Gl“ für Gehörlosigkeit, „Bl“ für Blindheit, „G“  für eine „erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr“, „aG“ für eine außergewöhnliche Gehbehinderung. Jetzt kommt die Krux an der Geschichte. Im Antrag muss man selbst ankreuzen, in welche Kategorie man fällt. Dazu gibt es Erläuterungen, die einem die Entscheidung erleichtern sollen. Gut, lesen kann ich auch, nur schlauer war ich nicht. Denn mit meiner einseitigen Unterschenkelamputation fühlte ich mich wie zwischen den Stühlen. Bin ich ein G oder ein aG?  Für G heißt es: „steht Menschen zu, die in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind und dadurch Wegstrecken nur mit Schwierigkeiten bewältigen können. Die Bewegungsunfähigkeit kann durch ein eingeschränktes Gehvermögen [und anderes] beeinträchtigt sein.“ Soweit so gut. Für aG heißt es da: „Eine außergewöhnliche Gehbehinderung liegt vor, wenn Menschen sich dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeugs bewegen können. Zu den außergewöhnlich behinderten zählen z. B. querschnittsgelähmte oder beidseitig beinamputierte Menschen sowie Menschen, deren Gehfähigkeit ebenso stark eingeschränkt ist.“ Und wo genau liegen da einseitig Amputierte? Denn G gibt es auch für chronische Knochenleiden. Geht man recherchentechnisch etwas in die Tiefe wird nur klar: die Situation ist unklar! Tolle Wurst.

Wer fragt, dem kann geholfen werden und so hakte ich bei Leuten nach, die es meiner Meinung nach wissen müssten: andere Papierkrieger, mein Orthopädietechnikerguru, Ärzte. Die erste Gruppe war sich auch nicht sicher und meinte, kreuz mal das an, was am Besten für dich ist. Bei Ablehnung müssen die Kollegen dir einen guten Grund nennen. Karsten sagte das selbe und auch die Ärzte vermuteten es so. Gesagt getan und das Kreuzchen bei aG gesetzt. Augenscheinlich hatten wir damit erst einmal daneben gelegen. Wurde ja abgelehnt dieser Versuch. Aber wozu hatte man denn Deutsch LK und Recht als Zusatzfach im Bachelor? Laut Schreiben vom Amt fuße die Ablehnung auf verschiedenen Paragrafen verschiedener deutscher Gesetzbücher und Verordnungen. Und wieder stand dort die Bedeutung eines aG, nur dieses Mal mit dem Zusatz: „Ihre Gehfähigkeit ist nicht vergleichbar eingeschränkt.

Es wurde zunächst ein G mit einem GdB von 50. Wie dieser Grad der Behinderung (GdB) ungefähr für verschiedene Gesundheitsstörungen bemessen wird, gibt die Versorgungsmedizin-Verordnung an. So wusste ich, dass G50 das absolute Minimum bei einer einseitigen Unterschenkelamputation ist. Auch ein Amtspferd springt nur so hoch es muss. Eine Freundin schaute mich nach dieser Beurteilung völlig ungläubig an. Sie ist Diabetikerin, spielt im rosa-grünen Club und ist höher eingestuft. Nur warum konnte sie nicht verstehen. „Märri, dir geht es doch sichtbar schlechter als mir. Also ein bisschen Zuckerkrank gegen einen fehlenden Fuß“. Der Unterschied liegt woanders. Fällt sie auf dem Weg vom Auto zum Laden um, kann sie theoretisch – Gott bewahre – an den Folgen ihrer Behinderung sterben. Falle ich auf dem selben Weg um, gucke ich blöd aus der Wäsche, aber negative Folgen sind nur dann zu erwarten, wenn mich dummerweise noch ein LKW überrollt.

Meine Gehfähigkeit sei also nicht genug eingeschränkt? Pah. War dieser Papierkrieger schon einmal mit nur einem Bein und länger als drei Tage mit Gehstützen unterwegs? Das soll keine große Anstrengung sein? Das soll der mir mal vormachen. Und dann hat der noch alle Muskeln im Schulter- und Rückenbereich. Diese Frage stellte ich also in meinem Widerspruch mal so in den Raum. Außerdem schaute ich mir die Formulierungen der Paragrafen mal genauer an und da war klar: es sieht abschreckend aus, wenn irgendwo steht: „So ist das, weil das so im Gesetz steht.“ Die lieben Paragrafenreiter hatten hier aber nur solche angegeben, in denen steht, welche Stelle warum Behindertenausweise ausstellen darf. Also  habe ich auch ein paar Worthülsen bemüht. Sie gingen ja sicherlich davon aus, dass ein Einbeiniger dann „nur“ unter G fällt, wenn er durchgängig gut prophetisch versorgt wäre. Prinzipiell habe ich da auch nichts gegen einzuwenden. Ganz im Gegenteil, meine Prothese ist der Hammer und leistet mir gute Dienste. Ein „aber“ bleibt. Wer garantiert mir denn diese durchgängig gute Versorgung? Mein Orthopädietechniker und meine Ärzte könnten das nicht. Und ohne Prothese sei das Gehvermögen schließlich mehr als eingeschränkt.

Anschließend wurde ich informiert, dass man meine medizinischen Unterlagen angefordert hätte und das alles mal überprüfe. Na das ist doch mal was, ist das vorher also noch nicht passiert? Im November kam man zu dem Schluss, dass die Aktenlage nicht ausreiche, ich solle mich beim Arzt, dem die Ämter vertrauen, vorstellen. Der würde ein Gutachten aufsetzten. Den Termin schickte man mir gleich mit: Februar. Klar, ich hab ja Zeit, bin ja krank und kann warten. Der Arzt war sehr freundlich, hat mich angeschaut, ein paar Fragen gestellt und seinen Bericht geschrieben. Unaufgefordert trudelte danach ein weiterer Brief bei mir ein. Dem Widerspruch wurde statt und mir Recht gegeben: aG. Vorerst, denn man möchte das in ein bis zwei Jahren neu überprüfen. Wer weiß, vielleicht ist mein Fuß bis dahin ja nachgewachsen? Mit der neuen Bewertung stünde mir so ein Parkausweis zu, aber den müsse ich mir schon selbst holen. Das habe ich also an den Karnevalstagen gemacht. Diese Schlacht ging an mich, chakka!

Wie gewohnt möchte ich niemanden schlecht reden, niemandem auf den Schlips treten und niemanden persönlich angreifen. Es handelt sich ausschließlich um eine subjektive Wahrnehmung einer individuellen Situation.

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