(Halb)Götter in weiß

Kürzlich habe ich beschrieben, wie gut es tut, Menschen zu haben, die zu einem stehen (Leute, Danke!). Neben meinen Freunden und natürlich meiner Familie gibt es noch eine Gruppe Menschen, die unsagbar viel zu meinem Wohlbefinden beitragen.

Die Rede ist natürlich von meinen behandelnden Ärzten. Und davon habe ich so einige im Angebot. Selbstverständlich haben auch die Mediziner in „meinem“ ersten Krankenhaus ihren Teil beigetragen. Nur hat die Zeit dort in Sachen Weißkitteln keinen direkt bleibenden Eindruck hinterlassen. Vielmehr denke ich bei meinen Ärzten an die 3 oder 4, die mich seit Ende Juli (beg)leiten.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass ich die Namen ändere und abkürze, weil ich niemanden vor Veröffentlichung gefragt habe. Auch wenn ich für diese Gruppe nur lobende Worte habe, sollte sich keiner ungewollt in den weiten des world wide web wiederfinden müssen.

Was genau ist eigentlich ein Arzt, abgesehen vom weißen Kittel und dem Stethoskop um den Hals? Der Duden sagt: Ein Arzt ist jemand, der nach Medizinstudium und klinischer Ausbildung die staatliche Zulassung (Approbation) erhalten hat, Kranke zu behandeln (Berufsbezeichnung).
Mein Lieblingsonlinemedizinlexikon (kenne allerdings auch nicht so richtig viele) ergänzt noch folgendes: Ein Arzt bzw. eine Ärztin ist eine Person, die sich beruflich mit der Vorbeugung (Prävention), Erkennung (Diagnose) und Behandlung (Therapie) von Krankheiten beschäftigt.
(Und für die, die es etwas genauer wissen möchten, gibt es dazu unter diesem Arzt-Link noch ein paar Ausführungen mehr. Und wenn ich „Arzt“ schreibe, dann meine ich durchaus oft auch Frauen. Politisch vollständig korrekt zu sein, ist nur oft etwas zu aufwendig für meine Begriffe.)
Meiner Ansicht nach fehlt beiden Definitionen eine ganz wichtige Komponente – die menschliche. Denn nur ein Arzt, der seinen Patient wirklich gut versteht, kann wirklich gut präventiv, diagnostisch und/oder therapeutisch tätig werden. Und was das angeht habe ich wirklich Volltreffer gelandet. Mindestens zwei und einmal auch das, was im Fußball das Golden Goal war.

DAS Team besteht aus zwei Fußchirurgen und zwei plastischen Chirurgen, wobei die beiden plastischen Chirurgen mehr Arbeit mit mir hatten und haben. Die doctores T und N hatten zu Beginn meiner Krankenhausphase die kleinen Knöchelchen in meinem Fuß an Ort und Stelle zu puzzeln und zu verdrahten, verschrauben und weiß ich noch was. Von dem was ich gehört habe, haben sie das auch gut gemacht. Durch die Amputation habe ich diesen beiden mehr Zeit für andere Patienten verschafft. Und doch hat sich Dr. T von Dezember bis April auch über seinen hervorragenden Ruf hinaus, sehr verdient gemacht. An einem normalen Sprechstundentag hat er 80 Patienten vor dem Behandlungsraum, die alle nur auf ihn warten. Nebenbei operiert er noch in einem zweiten Krankenhaus. Trotzdem hatte er immer wieder viel Zeit, sich mit mir hinzusetzen und meine komplexe Situation zu besprechen.

Im Dezember war es seine Aufgabe mir zu sagen, dass die Situation der Knochen richtig schlecht ist und es im Grunde wenig Hoffnung für eine richtige Heilung gibt. Er hat das gut gemacht. Vor allem so, dass mir die Ausmaße erst am nächsten Tag so richtig klar geworden sind. Allerdings hat er meine Fragen immer mit positiven Formulierungen beantwortet. Wollte mir wohl nicht die Hoffnung nehmen zu wollen. Nett von ihm, aber ich finde in so einem Fall die ungeschönte Wahrheit deutlich besser. Vor der hat er sich etwas versteckt, bis zuletzt. Denn was eine Amputation bedeutet hat er mit keiner Silbe gesagt, stattdessen direkt die Versteifung geplant und deren Vorzüge dargelegt. Ich vertraue ihm durchaus genug, um diesem Rat vorerst zu folgen. Als im Januar die geplante Versteifungs-OP verschoben werden musste, saß er abends eine halbe Stunde bei mir am Bett, um mir zu erklären warum und welche Konsequenzen es hätte geben können. Außerdem wollte er das absolut bestmögliche Ergebnis erzielen, vor allem, weil wir ja da schon lang an diesem Ziel gearbeitet hatten. An dem Tag hat er mich sehr verblüfft: Er wusste noch, was ich studiere und wie wichtig mir der Fußball immer war. Ich war also nicht nur der x-te Patient für ihn. Jedenfalls hatte ich diesen Eindruck gewonnen.
Kurz vor Ostern hat es sich wieder gezeigt. Offiziell hatte ich einen Termin bei Dr. L. Er wusste aber, dass ich da war und als er nachmittags mit seinen OPs durch und ich noch da war, kam er zu mir und hat sich außer der Reihe noch sehr viel Zeit (bestimmt eine Stunde) genommen, um meine Fragen zu beantworten und Zweifel anzuhören. Und obwohl er zu dem Zeitpunkt noch nicht amputiert hätte, stand er voll und ganz hinter mir und welcher Entscheidung auch immer.

Diese Position vertrat auch Prof. R. Ein Arzt, der sich meinen tiefsten Respekt verdient hat. Meiner Auffassung nach kann es nur wenige Ärzte geben, die ihm in seiner Expertise nahe kommen. Prof. Dr. Dr. R. spricht vom menschlichen Körper und Behandlungsmaßnahmen, als gäbe es nicht simpleres auf der Welt. Dabei vergisst er manchmal, dass es für seine Gesprächspartner nicht immer so selbstverständlich ist, wie für ihn. Bei meiner Entlassung sagte er zum Beispiel, ich dürfe mit dem Fuß nicht in die Sonne. Acht Wochen später habe ich mal gefragt, ob das denn wieder OK sei. „Ja natürlich“, hieß es, in einem Tonfall der beinhaltete: Ist doch klar, warum fragst du überhaupt, das weiß man doch.
Prof. R war von meinem ersten Tag in seinem Krankenhaus mein offiziell behandelnder Arzt. Nur ein paar Tage nach meiner Ankunft ist er jedoch in den Urlaub gefahren. Dieser Urlaub hat mir eine klasse Ärztin beschert – von daher fand ich es im Nachhinein grandios! Ob er im Urlaub aber so wirklich Urlaub gemacht hat, frage ich mich bis heute. Denn ich weiß, dass Dr. L jede OP vorher mit ihm besprochen hat. Auch danach haben sie telefoniert, er hat alle Fotos zugeschickt bekommen und war wohl jederzeit auf dem neuesten Stand. Ich glaube, dass bei weitem nicht jeder so handeln würde. Ein wirklich sehr guter Arzt. Noch dazu hat er es mir nicht übel genommen, dass ich ihn am ersten Tag nach seinem Urlaub direkt übellaunig angekackt habe, weil eine OP mal wieder nicht so gelaufen war, wie vorher angedacht. Diese OP war das erste, was er zurück im Krankenhaus gemacht hat. Es tut mir bis heute Leid, dass er das über sich ergehen lassen musste.
Der Professor ist der einzige Arzt, der in meiner Gegenwart niemals das Wort „Amputation“ in den Mund genommen hat. Nicht mal, als ich ihn direkt darauf ansprach. Das war ihm wohl zu final. Dennoch ist seine Sicht der Dinge, und auch die der anderen, dass der Patient der Chef ist. Was der sich wünscht, wird gemacht – so gut es eben geht.
Insgesamt habe ich den Eindruck gewonnen, dass er ein schüchterner Mensch ist, dem fachlich niemand etwas vormachen kann und der nur auftaut, wenn er über seine Familie sprechen darf. Und das macht er selten. Ganz professionell der Professor Dr. Dr.

In der Rangordnung gleich unter ihm kommt Frau Dr. L. Für mich die perfekte Ärztin. Und ich denke, dass denjenigen, die schon ein bisschen mitverfolgen was ich schreibe das erkennen, was viele aus Gesprächen wissen. Diese Frau kann ich nur loben und preisen. Für mich ist sie wirklich eine Göttin in weiß. Fachlich bleibt da für mich keine Frage offen und dann ist sie menschlich auch noch eine Wucht. Es steht völlig außer Frage: wenn sie alle ihre Patienten so behandelt wie mich, wird sie keine Chefärztin mehr, weil sie vorher aus den Latschen kippt. Ich wünsche jedem Patienten auf dieser (und allen unentdeckten) Erde so einen Arzt. Ich würde mein Leben in ihre Hände legen.
Was ich am allermeisten an ihr schätze, ist ihre absolute Ehrlichkeit. Sie war von all den Ärzten, die ich hatte, die einzige, die bereits im Sommer zu bedenken gegeben hat, dass eine Amputation des Beins eine durchaus gute Alternative wäre. So bitter das auch klang. Als ich im März dann fragte, warum ich dazu nicht mehr gehört habe, antwortete sie: „Das hätten wir Ihnen nicht ernsthaft vorschlagen können. Sie haben noch geglaubt im Winter wieder normal zu laufen. Einer Amputation hätten Sie da niemals zugestimmt.“ Das hatte ich nie irgendwem gesagt, aber es stimmt.
Während einer OP, die sich unerwartet sehr in die Länge zog (12 statt 5 Stunden), hat sie in einer Toilettenpause meine Eltern angerufen, um zu sagen, dass sie sich keine Sorgen machen bräuchten. Da verlegt sie einen Muskel vom einen Bein zum Fuß, muss Adern und Co. neu verbinden und denkt noch an so etwas. Eine andere OP, die ähnlich lief, veranlasste sie am nächsten Tag zu mir ans Intensivbett zu kommen. Und was höre ich sie sagen? „Entschuldigen Sie das bunte Kleid“, das sie unter dem Kittel trug, „ich habe eigentlich heute frei, aber ich wollte Ihnen unbedingt selbst sagen, wie es gelaufen ist.“ Bitte was? Die Frau ist doch der Wahnsinn! Das Kleid war mir nicht unangenehm aufgefallen. Wäre ich mehr auf der Höhe gewesen, hätte ich sie sofort nach Hause geschickt. Meine E-Mails mit Fragen beantwortet sie telefonisch. Und selbst bei banalen Infos gibt es eine Antwort, auch am Feiertag.
Dazu kommt, dass sie meine Fragen und Anliegen schon voraus ahnt. Manchmal stehen die mir wohl auf die Stirn geschrieben, aber sie hat auch genug medizinische Erfahrung und mittlerweile Märri-Kenntnis, dass das einwandfrei geht. Sie scheut sich nicht, mir gegenüber ganz ehrlich zu sein. Wenn wir miteinander sprechen, dann bestätigt ihre Mimik Aussagen wie „Ihr Fall geht mir schon nah“. Bald gehen wir diesen doch steinigen Weg dann schon ein Jahr zusammen. Genug Zeit, dass man sich auch mal gegenseitig aufziehen kann. Ob ich am morgen nach der Amputation schon aufstehen darf? „Wenn Sie können“ – frei nach dem Motto: mach doch, wirst schon sehen, dass das nicht so einwandfrei klappt. Anderen Ärzten schenkt man Pralinen. Ihr habe ich einen Schoko-Schraubenzieher mitgebracht, weil ein fehlender Schraubendreher meine OP nach hinten verschob. Meine Worte „Falls mal wieder das passende Werkzeug fehlt.“ Sie lacht und meint ich wolle sie ja nur fett machen. Wenn ich schon der Chef bin, dann darf man auch im Krankenhaus lachen.

Ganz ehrlich, in Sachen Ärzten hätte ich es nicht besser treffen können!

Sie werden noch von wirklich freundlichen Schwestern und Pflegern ergänzt, die mich ja viel mehr aushalten mussten. Vor denen ziehe ich meinen Hut! Pflegeberufe sind wirklich nichts für mich. Und den Patienten dann das Gefühl zu geben, dass man sich für nichts schämen muss und nach Hilfe zu fragen nichts mit Schwäche zu tun hat, ist ganz stark.

Auch wenn in diese Aufzählung auch noch mein Hausarzt und Prothesenbauer gehören, werde ich meine Lobeshymne hier abschließen. Es wird bestimmt noch das ein oder andere folgen.

 

Danke, dass du hierher gefunden und dir die Zeit zum Lesen genommen hast.

 


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