Wo geht’s hier zum nächsten Umweg, bitte?

Im Volksmund heißt es des öfteren so schön: „Alle Wege führen nach Rom“. Ich lebe diese zweifelhafte Weisheit der alten Römer mal wieder voll aus. Ist es nicht so, dass man von Berlin auch über Stockholm nach Rom kommt? Die Ankunftszeit wird sich wohl etwas verändern, aber ans Ziel kommt man ja doch. So in etwa mache ich es ja seit dem Unfall in Sachen Genesung immer wieder.

Was beim ersten Mal noch nicht so schlimm ist, wird mit der Zeit mehr als anstrengend. Denn es ist mit jedem neuen Umweg schwerer, das eigentliche Ziel im Auge zu behalten. Es wird dann auch nicht einfacher, wenn Menschen, die einem nahe stehen, dadurch scheinbar mehr Kraft verlieren als man selbst. Schließlich brauche ich zur Zeit wirklich alle meine Stärke für mich, aber ich möchte auch immer für andere mit stark sein. Auch wenn mir immer wieder beteuert wird, dass ich das nicht muss. So bin ich nunmal aber. Naja, und wenn man dann zum x-ten Mal an der Wegkreuzung wieder abgebogen ist statt einfach geradeaus zu gehen, nimmt man die zusätzlichen Meter kaum noch war. Es wird zu einer Art Routine. Andere trinken morgens erst mal eine große Tasse Kaffee und ich suche schonmal nach einem „schönen“ Abzweig. Damit will ich weiß Gott nicht behaupten, dass mir Umwege dieser Art gefallen oder nicht mehr auffallen. Nein. Aber ich bin dann nur noch einen kurzen Moment traurig und merke dann auch, wie erschöpft ich doch eigentlich schon  bin. Dennoch kann ich gar nicht mehr anders als nur noch mit den Schultern zu zucken und auch diese Extrameile noch zu gehen. Schließlich gilt Aufgeben bei mir nicht. Wer meinen Blog verfolgt, wird sich an „I won’t give up, no I won’t give in“ erinnern.

Wonach sieht das hier für euch aus?

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Eine gepackte Tasche. Klar. Manch einer geht damit zum Sport, andere fahren damit in den Urlaub und ich gehe mit ihr mal wieder ins Krankenhaus. Das sind die Umwege, die dann wohl etwas länger werden. Und tatsächlich ist er schon 2 Wochen lang. Ich wollte dazu nur erst etwas schreiben, wenn es auch Ergebnisse gibt.

Achtung, enthält Bilder, die nicht umbedingt zum Essen passen.

Angefangen hat es mit richtigen Schmerzen im Stumpf beim Auftreten. Einige werden es kennen, wie es sich anfühlt, wenn man einen Schritt macht und einem ein wahnsinniges Stechen durchs ganze Bein geht. Ich hätte es vielleicht schon ahnen können, als das Einsteigen in die Prothese den selben Effekt hatte. Und jeder Schritt wurde zur Qual. So sehr, dass ich gar nicht vom Bett bis zur Tür gekommen bin, sondern umgedreht bin und auch die 2. Krücke geholt habe.

Vielleicht hatte ich zu viel gemacht? Oder bin ich zu schnell von den Schmerzmitteln runter? Oder vielleicht dann jetzt wetterfühlig? Mein Ergotherapeut hielt das für eine Möglichkeit, schließlich ist eine Amputationswunde keine Kleinigkeit und seit 3 Tagen haben wir auf ein angekündigtes Gewitter gewartet. Ich habe nur gehofft, dass ich nichts falsch gemacht habe und selbst Schuld an meinen Schmerzen war. Also bin ich 4 Tage mal mit beiden Krücken und nur wenig Belastung auf dem linken Bein weiter gegangen. Und sehr traurig war ich.

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Leider gab es keine Besserung durch weniger Belastung. Ganz im Gegenteil sogar. Von einem Moment zum nächsten hatte ich eine Art Blase an der Narbe (besser kann ich es nicht beschreiben). Gut, dann eben ohne Prothese weiter und obwohl jetzt kein Druck mehr da war, ist das Ding aufgegangen und hat gesifft.

Und weil mein Genesungsprozess in keinem Abschnitt einfach mal glatt laufen kann, hat es auch nicht aufgehört zu laufen. Ganz wenig, aber konstant und so gelblich. Schon ekelig sah das aus. Mein Hausarzt diagnostizierte eine Druckstelle, schließlich muss sich der Stumpf erst noch daran gewöhnen jetzt eine andere Last zu tragen. Er verschrieb Jodsalbe und Pflaster zwei Mal am Tag wechseln und nach 4 Tagen wieder kommen. Falls ich in der Zeit Fieber bekomme, auf jeden Fall sofort zum Antibiotikum greifen, dann wäre es eine Entzündung. Die vier Tage vergingen. Erst ist die offene Stelle getrocknet, durch die viele Salbe dann wieder auf gegangen, am Ende zwar kein Fieber gehabt aber auch eine Änderung da gewesen. Ich war langsam aber sicher kurz davor zu verzweifeln und auch meine Entscheidung für die Amputation zu verfluchen.

Weil mein Hausarzt diagnostisch nicht so richtig weiter kam, empfahl er mir meine behandelnden Chirurgen zu befragen. Weil ich aber immer noch hoffte, dass es halb so wild ist, stimmte er zu, dass 200 km vielleicht etwas weit sind. Ich sollte dann zu einem Chirurg hier in der Nähe gehen. Der wirkte kompetent auf mich, schaute sich die Stelle nur an und meinte: Das ist bestimmt eine Fistel (wenn sich eine Entzündung aus dem Inneren des Körpers nach außen drückt). Das müsste entfernt werden, aber vorher sollte ein MRT die Diagnose bestätigen. Und er könnte das nicht auswerten, weil er nicht mein behandelnder Arzt wäre. Gut, dann also doch mal mit meinen Leuten telefonieren.

Im Krankenhaus war man gegen ein MRT so „auf Verdacht“, Prof. R wollte erst einmal einen klinischen Befund. Gemeinsam mit seinem wirklich sehr freundlichen Sekretariat, haben wir beschlossen, dass 2 Wochen bis zum nächsten freien Termin doch recht lang sind. Ich sollte also Fotos per Mail schicken und dann könnten die Ärzte entscheiden, wann ich kommen soll. Die Antwort ließ nicht lang auf sich warten und hieß: in einer Woche um 13 Uhr.  War wohl dann doch nicht ganz harmlos…

Bis dahin natürlich keine Belastung und nur Gaze mit Pflaster, damit da kein Dreck rein kommt.

Dann kam der Termin zur Sprechstunde mit Prof. R, weil Dr. L ja (leider) noch im Urlaub ist. Er hat mich erst mal zum Röntgen geschickt und dann auf den Übertäter geschaut. Erste Frage: „Haben Sie da in ihrem Rucksack zufällig Sachen dabei?“ Ähm, nein. Warum? „Das müssen wir entfernen, in einer OP.“ Aber Dr. L ist im Urlaub und meine Frage dann wer mich denn statt ihr operiert und ob er das macht. „Möchten Sie das denn?“ Aber sicher möchte ich das! Ich durfte dann wieder Heim fahren, am nächsten Tag wieder kommen und den Tag drauf wurde ich operiert. Diese Fistel kam von einem subkutanen Faden, der sich entzündet hatte. So einer, mit dem Muskeln vernäht werden. Das kann schonmal passieren. Und wo er schon dabei war, hat er direkt die Tibia noch ein bisschen gekürzt, denn die hatte an die Gewebeoberfläche angeschlagen und eine spürbare Kante gemacht. Das war nicht ganz ideal, aber kommt häufig vor, weil an Schienbein und Wade nunmal nicht so viel Gewebe da ist, mit dem man den Knochen abpolstern kann. Das ist am Oberschenkel zum Beispiel etwas ganz anderes. Solche sogenannten Revisions-OPs sind nicht selten.

Da war es dann auch das Nachkürzen, das laut Frau L immer geht, und auch die 20 OPs sind jetzt voll. Mein Prothesenbauer war von diesem Vorgehen ziemlich begeistert. „Du hast wirklich tolle Docs, die wollen alles verbessern, das ist super selten.“ Und immerhin ist es im Krankenhaus  nur halb so schlimm, wenn man die gesamte Belegschaft kennt und mit vielen plaudern kann! Jetzt heißt es wieder 4 Wochen nicht belasten, wieder Schmerzmittel futtern wie nach der initialen Amputation und ausruhen. In all der Zeit gibt es dann auch wieder nur „pseudo“ Physiotherapie. Das macht mich wahnsinnig..! Und wir müssen eine komplett neue Prothese bauen. Dafür darf ich dann mit der nach der Anpassung direkt in Reha. Darauf freue ich mich sehr.

Bis dahin muss ich jetzt erst mal alle 2 Tage zum Hausarzt zum Verbandswechsel. Immerhin wurde ich schon 4 Tage nach der OP wieder entlassen. Alle Ärzte im Krankenhaus kennen mich gut genug und versuchen gar nicht mehr, mich ans Bett zu fesseln. Ich durfte sogar am Abend nach der OP schon mit Rolli und Ausleger zum Public Viewing des Deutschlandspiels. 20160616_194136So macht man seine Patienten glücklich. Hier zu Hause merke ich allerdings etwas, das mir im Krankenhaus nie aufgefallen ist: meine Medis machen echt müde! Naja, 2 x Ibuprofen 800 und 4 x Novalgin 500 am Tag sind auch nicht ohne.

Danke für’s Lesen. Ich harre jetzt wieder mal der Dinge, die da noch kommen werden. Und halte es wie Oscar Wilde

 

Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende.


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