Wie geht es Ihnen?

„Wie geht es Ihnen?“ Was antwortet ihr für gewöhnlich auf diese Frage? In der Regel sagt man doch schlicht: „Gut, danke und selbst?“ Dieses Frage-Antwort-Spiel ist doch oft mehr eine Floskel als ernst gemeintes Interesse. Und wenn jemand wirklich eine ehrliche Antwort hören möchte, dann überlegt der Gefragte meist gründlich, ob er/sie die ganze Wahrheit überhaupt sagen mag. Und genau das bin ich zur Zeit. Nach diesem Jahr das hinter mir liegt. Es geht mir gut. Es ist nicht die ganze Wahrheit, es ist die Quintessenz.

Und was werde ich morgen Antworten, wenn der Professor in der Sprechstunde fragt: „Wie geht es Ihnen?“ Denn er will es wirklich wissen und muss es auch, wie sollte ein Arzt seinen Patienten sonst auch vernünftig behandeln? Aber was genau werde ich antworten? Nach einem Jahr (und am Samstag ist es auf den Tag ein Jahr), wie meinem. Mit so viel Sch*** und mittlerweile unzählbaren Rückschlägen.

Ich werde wohl wie immer antworten, dass es mir gut geht. Frau Dr. L würde wohl eine längere Antwort bekommen, aber sie ist ja nicht da. Morgen werde ich sagen, dass es mir gut geht. Schließlich habe ich keine Schmerzen, weder reale noch diese ominösen Phantomschmerzen. Das ist wirklich klasse! Und dann werde ich ein „aber“ anschließen. Konjunktivsätze sind da immer bedeutungsschwanger.

„Aber, ich bin mir nicht so sicher, dass das Ergebnis der letzten OP wirklich so ist, wie Sie sich das vorstellen.“ Für mich als Laien sieht es eher so aus, als wäre die Knochenkante jetzt noch schärfer und noch etwas näher an der Oberfläche als vor der OP. Nun gut, es wurde mit der Entzündung auch etwas Gewebe entfernt. Das geht sicherlich nicht spurlos an einem Amputationsstumpf vorbei und vielleicht wächst dieses Gewebe nach und füllt dieses Loch wieder. Und ein Schienbeinknochen ist auch unter ‚normalen‘ Umständen gut von außen tastbar.

Es sind genau diese Dinge, die mir die Kraft rauben, die mich ganze Tage vor dem Fernseher versacken lassen. Das war seit der letzten OP jetzt noch nicht der Fall, aber wenn es morgen nicht nur gut ist, dann weiß ich schon jetzt, dass es übermorgen so weit sein wird.

Heute war ein guter Freund spontan zu Besuch bei mir. Wir haben über dies und jenes gequatscht und wie immer, habe ich diese Zeit sehr genossen. Unweigerlich kamen wir auch darauf, wie es mir geht. Und dass die Antwort nicht immer „gut“ ist. Mehr möchte er dann schon immer nicht wissen, weil er nicht möchte, dass seine Fragen Schuld daran sind, dass jemand anderes sich schlecht fühlt. Dennoch lag das Thema nun einmal auf dem Tisch und er hat mir erzählt, wie es ihm ging, als er von meinem Unfall und seinen Ausmaßen erfahren hat. Erst nur vom Unfall und Tage später erst die wirklichen Folgen. Wie er schon wusste, was für eine Qual es für mich wird, weil ich doch immer so aktiv und sportlich war, kaum still sitzen konnte. Er hatte (und hat noch immer) recht. Es ist eine Qual, insofern, dass ich einfach nicht wieder so richtig auf den Damm komme und immer wieder etwas Neues mitnehme, damit es noch ein bisschen länger dauert. Physisch ist das für mich halb so wild. Daran kann man dann auch später gut arbeiten. Psychisch ist das etwas ganz anderes. So langsam schwinden auch meine Kräfte und in Momenten, die ich ganz für mich habe, versteckt sich auch mein Optimismus manchmal.

„Dich mit der Prothese zu sehen, das hat uns alle ermutigt“, sagte der Freund heute Nachmittag. Und seine Augen haben dem voll und ganz zugestimmt. Ja, das hat auch mich ermutigt. Umso tiefer war allerdings der letzte Fall. Wer kein Speiseeis kennt, weiß nicht was er verpasst. Wer einmal davon gekostet hat, möchte immer mehr. Jetzt hatte ich schon diesen einen kleinen Sieg. Die Vorrunde ging an mich – jetzt will ich den Titel und das schnell. Da fällt es schwer zu glauben, was andere sagen. Erst gestern wurde mir gesagt, ich sei jetzt wieder viel entspannter, als noch im März. Das freut mich! Immerhin ist die Last der Entscheidung von mir gefallen. Nur geht die Berg-und-Tal-Bahn-Fahrt weiter.

Morgen werde ich also antworten: „Gut, aber…“ Und dann hoffe ich auf ein positives Ergebnis. Damit meine Antwort auf die Frage „Wie geht es Ihnen?“ bald wieder ein ganz ehrliches „Gut!“ ist.


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