Jahrestag

Der 2.7.2015 und der 2.7.2016 konnten nur noch schwer unterschiedlicher sein. Gestern regnete es beinah ohne Unterbrechung. Ein Jahr zuvor war ein sonniger Tag. Ein Jahr zuvor war ich in Hessen unterwegs. Gestern war ich zu Hause. Gut, an beiden Tagen habe ich Freunde gesehen, die ich sonst nicht oft sehe. Vor einem Jahr war ich stolzer Besitzer eines kleinen Autos und eines schicken Motorrads. Heute ist es ein anderes Auto. Aber der unterschied ist ganz anderer Natur.

Gestern vor einem Jahr hat sich mein Leben binnen weniger Minuten, vielleicht auch Sekunden verändert. Und fürs erste hat es sich grundlegend verändert. Gestern vor einem Jahr hatte ich meinen schlimmen Motorradunfall, der mit der Zeit zur Amputation meines Fußes führte. Vieles rechne ich seit dem in v. Un. und n. Un. Als ich irgendwann während meiner zwei Monate im Krankenhaus begriff, oder glaubte zu begreifen, welche Ausmaße meine Verletzung annehmen würde, war ich am Boden zerstört. Dachte ich jedenfalls. Dennoch war ich tief in mir drin davon überzeugt irgendwann wieder normal laufen und vor allem Fußball spielen zu können. Als im Dezember die Diagnose-wirklich zerstört- und meine Wahl zwischen einer Sprunggelenksversteifung oder einer Unterschenkelamputation links kam, bin ich in ein tiefes Loch gefallen. Niemals hätte ich gedacht, dass man sich so schlecht, verloren und hilflos fühlen könnte. Ich war in meiner persönlichen Hölle. Und wollte keinesfalls, dass irgendwer mitbekam wie schlecht es mir wirklich ging.

Mittlerweile habe ich gelernt, dass ich ruhig zeigen darf, wenn ich verzweifelt bin. Und ich habe noch sehr viel mehr gelernt. Meine Familie tut alles für mich-und noch mehr. Gerade das ist irgendwie auch der Grund, warum ich mich da etwas herausnehme. Außerdem habe ich die besten Freunde der Welt! Ich liebe den Moment jetzt bewusster freue mich über die vermeintlich kleinen Dingen. Und ich habe gelernt mir selbst genug zu sein und die Zeit mit mir selbst zu genießen. Auch ohne aktiv Fußball zu spielen, dreht die Welt sich weiter. Und das tut sie auch ganz akzeptabel-wenn es sein muss. Dabei war’s am Anfang der Fußball und alles was ich damit verbinde, der mich aufrecht gehalten hat. Mein eiserner Wille bald wieder gegen das runde Leder zu treten. Das hat mir viel Kraft gegeben und mich vor der Verzweiflung bewahrt.

Jetzt ist es ein anderer Traum. Ich will noch einmal zurück auf dem Platz, aber da muss ich realistisch sein. Es ist doch wahrscheinlich, dass es nicht mehr so läuft wie vor dem Unfall. Jetzt träume ich wieder einmal von Neuseeland ich möchte das Land zu Fuß durchqueren und so etwas träume ich nicht ganz allein. Das ist schön.

(Spoiler: Es gibt wieder Bilder.)

Wenn ich heute mein vergangenes Jahre Revue passieren lasse bin ich ehrlich ein bisschen verblüfft, von dem wo ich jetzt stehe. Und das macht mich ehrlich gesagt auch ein bisschen stolz. Ich habe mich nicht unterkriegen lassen. Ganz am Anfang war die Situation für mich gar nicht mal so schlimm. Ich hatte einen Fixateur am linken Fuß, konnte aber noch aufstehen und war auch so recht fit. Der Fixateur blieb mir mehrere Monate erhalten. Während meiner zwei Wochen auf Intensiv wurde ich ans Bett gefesselt und sollte noch einige weitere Wochen darin liegen bleiben. X OPs und zwei freie Lappenplastiken plus Hauttransplantation haben mich richtig geschafft. Ich konnte mich kaum noch bewegen und wenn mit großer Mühe. Das war vorher für mich und vorstellbar. Wenn man nur noch einen Arm richtig bewegen kann steht man vor einem großen Problem. Und das obwohl doch „nur“ mein Fuß kaputt war. Ich konnte mich nicht alleine anziehen, nicht allein trinken oder mich aufsetzen. Ich war hilflos und von anderen extrem abhängig. Das hat glücklicherweise nicht so sehr lange gedauert.

Irgendwann durfte ich aus dem Bett raus, in einem Rollstuhl. Und nach 5 Minuten war ich so geschafft, dass ich unbedingt wieder zurück ins Bett wollte. Mit der Zeit durfte ich kurze Strecken mit Krücken machen. Der Fixateur kam ab, ich bekam eine Sandwichorthese und durfte nach fünf Monaten das erste mal wieder auftreten. Weitere fünf Monate verbrachte ich mit dieser Orthese und einer zehn Kilo Teilbelastung. Es folgte die Amputation und es sollte endlich Berg auf gehen. Meine Prothese war schnell fertig, ich durfte voll belasten und an einer Krücke gehen.

Und weil die vielen Ops im Sommer mit misslungenen Transplantationen, die Wahl, Intensivstation, Keime, Bluttransfusionen… Nicht ausreichen kam noch eine Entzündung dazu. Also noch eine OP und Prothesenverbot. Jetzt wieder ein Bein und zwei Krücken. Ich kann weiß Gott nicht behaupten ein langweiliges Jahr gehabt zu haben.

Ich finde ein Jahr und 20 OPs sind eine runde Sache, dabei kann es bleiben. Ich bin noch ein bisschen dankbar für die Zeit, denn ich habe tolle neue Leute kennen gelernt und einmal mehr begriffen, welch tolle Leute ich bereits vorher kannte. Gestern, genau ein Jahr nach meinem Unfall, kam mein Arbeitsvertrag ins Haus geflattert. Ein Nebenjob. Aber ein ganz deutliches Zeichen dafür, dass die Pause in meinem Leben jetzt aufgehoben ist und das Spiel wieder angepfiffen wird. Ja, meine Wohnung behindertengerecht eingerichtet. Ja, ich fahre jetzt einen Automatikwagen. Ja, auf dem Papier werde ich wohl schwerbehindert.

Na und?

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