Kein Bett mit meinem Namen

Ich habe erst ein bisschen gehadert, ob ich diesen Beitrag schreiben soll und wenn ja wie. Dann ist mir eingefallen warum ich diesen Blog führe: um anderen zu zeigen, was da bei einer Amputation auf sie zukommt. Und dazu gehören nicht nur gute Zeiten und Erfolge. Gerade wer meinen Weg verflogt, wird das wissen. Kürzlich war es wieder so weit, dabei hatte es so gut angefangen.

Die Mission Laufen tat genau das: sie lief. Langsam, aber es wurde besser. Ich ging arbeiten, war viel unterwegs, der letzte Faden war auch raus. Alles war gut! Sogar einen Termin zur Reha eine Woche später hatte ich schon. 🙂

Jedoch: zu früh gefreut.

Am Dienstagabend kam ich nach Hause, legte Prothese und Liner ab und mir bot sich ein Bild, das ich gut kannte. Eine offene Stelle direkt auf der Amputationsnarbe, die genau so aussah, wie bei der letzten Entzündung auch. Das hat sofort alle meine Alarmsirenen zum klingeln gebracht und einen ganzen Strom negativer Gedanken ausgelöst. „Offene, nässende Stelle heißt OP. OP heißt wochenlanges nicht-belasten. Nicht-belasten heißt keine Reha. Keine Reha heißt nicht laufen. Nicht laufen heißt…“ Dieses Mantra spielte erst mal einige Minuten in Endlosschleife in meinem Kopf. Ich war nicht in der Lage auch nur einen kleinen klaren Gedanken zu fassen.

Rein vernünftig wäre es gewesen, ins Bett zu gehen, am nächsten morgen beim Arzt zu stehen und bei der Arbeit bescheid zu geben, dass es heute später wird, oder ich krankheitsbedingt nicht kommen kann. Nun war es aber erst mein dritter Tag und ich vollkommen durch den Wind. Um alles in der Welt wollte ich arbeiten gehen und mir dieses Stück Normalität behalten. Ich befürchtete sogar direkt wieder gekündigt zu werden. Lasst euch sagen, dass das sonst so gar nicht meine Art ist. Aber mittlerweile brauchte ich nichts dringlicher als ein anhaltendes Erfolgserlebnis. Diese neue Wunde war das genaue Gegenteil davon und ich war am A***. Es ging nichts mehr bei mir außer auf einem Stuhl zu hängen und hemmungslos zu weinen. Zum Glück gab es aber meinen Papa und seine Vernunft. Er konnte mich also überzeugen, das zu machen was richtig war: schlafen und dann morgens direkt zum Arzt. (Spoiler: ich wurde natürlich nicht gefeuert!)

Mein Hausarzt konnte nicht verbergen, dass ihm nicht gefiel was er da sah. Genau definieren konnte er es aber auch nicht. Er hat sich die Stelle eingehend betrachtet und tatsächlich einen der tiefen Muskelfäden raus geholt. Diese sollen eigentlich drin bleiben und werden normalerweise auch nicht vom Körper abgestoßen. Noch dazu hatte ich vor der Amputation viele dieser Fäden im Fuß und sie haben nie Ärger gemacht. Wie es aber weiter geht, konnte der Arzt mir nicht sagen, ich sollte am nächsten Tag wieder kommen. Das war mir nix. Denn bei der letzten Entzündung hatten wir 5 Tage abgewartet und dann sollte ich zu einem Chirurgen. Von dort in mein Krankenhaus und die haben mich direkt da behalten. Das wollte ich nicht noch einmal. Diese Warterei hätte ich auch nicht ausgehalten, da war ich mir sicher. Zu Hause griff ich direkt zum Hörer und rief im Krankenhaus an. Die Sekretärin (auf die ich auch nur Loblieder singen kann!) leitete mich sofort an Dr. L weiter und es war schnell beschlossen: auf ins Krankenhaus, damit ein vernünftiger Befund gegeben werden und sie mich „seelisch aufbauen“ kann.

Zeitsprung:

„Seit gut 1,5 Stunden bin ich wieder zu Hause. Ich bin wahnsinnig müde und auch jetzt rollen kleine Tränen über mein Gesicht. Die Müdigkeit wird ihren Teil dazu beitragen. Aber die letzten drei Tage haben mich mehr geschlaucht als irgendetwas im vergangenen Jahr. Niemals war ich wegen einer solchen Kleinigkeit so fertig und mitgenommen. Als im vergangenen Sommer die Lappenplastik gescheitert war und danach der erste Keim einzug hielt, ging es mir schlecht. Aber mehr aus Frust als alles andere. Ich war kurz davor Prof. R an den Kopf zu werfen, für ihne wäre das so ja gut, weil OPs sicherlich mehr Geld einspielen. Welch ungerechter Gedanke! Heute bin ich sehr froh, dass ich mir noch auf die Zunge beißen konnte! Denn ich weiß mittlerweile was er und Sie für mich bewegt und getan haben. Und obwohl es lange nur kaum merklich voran ging, ging es mir besser als jetzt. Man sagt nicht zu unrecht: „Steter Tropfen hölt den Stein.“ Nachdem ich jetzt mehrfach auch wieder recht weit oben angekommen war und das Ende der Tortour erhanen durfte, waren die OP vor 6 Wochen und vor allem die von gestern der ominöse Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Mit nur einem Bein steht es sich etwas schlechter, aber es geht. Nur die letzten Tage haben mit den Boden unterm Fuß weg gezogen.
Nun muss ich nicht nur mit mir selbst klar kommen und mich wieder auf Kurs bringen (immerhin weiß ich ja jetzt, dass es harmlos war). So fertig wie in den letzten paar Tagen war ich nur im Dezember, nachdem Dr. T verkündet hat, dass es nur noch 2 Optionen gibt und er damit den Fußball (auf unbestimmte Zeit) begraben hat. Nur da war ich ähnlich hilflos und das war immerhin ein wesentlich triftigerer Grund.
Als ich heute morgen meinte, dass ich nicht noch eine OP schaffe, war das mein voller Ernst. Ich bin ausgelaugt und weiß nicht, wie ich so lange durchalten konnte und erst recht nicht, wo ich jetzt noch Reserven her nehmen soll. Mittlerweile hat es sich im Freundeskreis herumgesprochen, dass ich ihrem OP Tisch wieder die Ehre gegeben habe. Und meine Freunde bekunden, dass ich ein Kämpfer sei und auch das auf jeden Fall noch schaffen werde. Keiner von denen weiß, wie es in mir aussieht. Denn ich habe ihnen gegenüber nicht eingestanden. Und doch haben mich gestern und heute einige auf der Station weinen sehen und hatten alle Verständnis dafür. Ich hoffe, dass jedoch niemand davon wirklich versteht, wie es einem in einer solchen Situation geht. Nach dem Verbandswechsel war noch Alisa da, die ich bei einem meiner Krankenhausaufenthalte kennen lernen durfte. Sie meinte, dass man mir heute ansehen könnte, dass ich leide. Das erste Mal seit sie mich kennt.
Ich glaube ohne den neuen Arzt mit im Behandlungszimmer wäre ich am Mittwoch schon etwas zusammen gebrochen. Und heute morgen konnte ich mich nur schwer einigermaßen zusammen nehmen. Ihre Art mit mir umzugehen ist der Knüller. Dass Sie der Meinung sind, dass es auf jeden Fall irgendwann gut wird, hilft mir sehr. So wird es leichter mich selbst wieder zu überzeugen und daran zu glauben.
Sie tun mehr für das Sorgenkind, als Sie müssten. Aber bedankt habe ich mich heute gar nicht bei Ihnen.

Danke!“

Eigentlich gehöre ich nicht zu den Menschen, die gern oder häufig nach außen kehren, wie es ihnen geht. Aber manchmal kann ich den Optimist in mir nicht aufrecht erhalten. Und noch seltener, kann ich nicht für mich behalten, wie es mir geht. Den letzten großen Absatz habe ich mir nach meiner Entlassung von der Seele geschrieben und es war eigentlich als E-Mail an meine Ärztin gedacht. Bisher habe ich sie nicht abgeschickt, werde es wohl auch nicht und es beim nächsten Termin persönlich machen. Das mit dem Sorgenkind kommt nicht von mir, es gibt nur nicht so viele Patienten wie mich, die jeden Mist mitnehmen, der so am Wegesrand liegt. Etwa 2 Wochen bin ich auf dem Zahnfleisch gegangen. Diese neuerliche OP hat mir den Rest gegeben. Auch wenn es harmlos war, weil wirklich nur diese tiefen Fäden raus mussten und die Entzündung nur oberflächlich war – meine Toleranzgrenze war überschritten.

Letztendlich war ich 2 Nächte im Krankenhaus und wir sind uns einig, dass kein Bett dort mehr meinen Namen tragen soll. Nichtsdestotrotz war es eine OP und ich darf bis die normalen Fäden raus sind nicht belasten. So muss mein Traum vom Laufen noch ein paar Wochen länger geträumt werden.

Auch wenn ich kurz vorm aufgeben war (Dr L.: „Sie haben gar keine Wahl, als weiter zu machen. Und das schaffen Sie auch!“), ist mir eingefallen, dass ich genau das nicht zulassen wollte. An Tag zwei nach der Entlassung kann ich immerhin wieder sagen: No I won’t give up, I won’t give in!

 

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