Große Mauer

Ich denke jeder kennt diese Situation: du hast das Gefühl du stehst vor einer Wand. Nicht irgendeiner Wand, sondern vor einer Wand die besonders dick erscheint. Eine Wand so hoch, dass du auf gar keinen Fall darüber gucken kannst. Eine Wand die so lang ist, dass du nicht darum herrum gehen kannst. Eine Wand, die so tief in den Boden gebaut wurde, dass du auch keinen Graben  darunter her graben kannst.
Und so viele Menschen die es gibt, so viele Gründe für diese Mauer gibt es bestimmt auch oder gar mehr. Ich stand letzte Woche vor dieser Mauer. Ich kam nicht rüber, ich kam nicht drum herum, ich kam nicht drunter durch. Es ging einfach gar nichts. Auf der anderen Seite standen liebe Menschen, die mir helfen wollten, aber ich wusste auch schlicht einfach nicht wie. Vielleicht wollte ich diese Hilfe auch nicht sehen. Vielleicht wollte ich einfach eine Weile vor dieser Wand stehen, sie anstarren und mich hilflos fühlen. Und es hat eine Weile gedauert bis sich gemerkt habe, dass in dieser schier endlosen Wand eine Tür war und ich hindurch gehen konnte.

Heute habe ich etwas gelesen, das die Tür hinter mir geschlossen hat und das Kapitel der 21. OP in 13 Monaten abgeschlossen hat. Denn es ist eng mit dem verbunden, über das ich die letzten Tage sehr viel nachgedacht habe. Ich habe hinterfragt wie ich das ganze letzte Jahr geschafft habe und wie ich es so relativ leicht schaffen konnte. Die Antwort, die ich gelesen habe lautet wie folgt: Gott bürdet einem Menschen nur so viel auf, wie er ertragen kann.

Jetzt gehöre ich nicht gerade zu den gläubigen Menschen, aber ich denke da ist schon irgendwie was dran. Den Beitrag hat eine Person, die eine wirklich schwere Zeit durchleben musste. Sie ist für sich zu dem Schluss gekommen, dass es nicht darum geht wie viel man ertragen KANN. Wenn man meint, dass man etwas nicht mehr erträgt, dann geht es weniger darum ob man es ertragen KANN sondern vielmehr darum ob man es ertragen WILL. Und tatsächlich hat das meine ganzen wüsten Gedankengänge aus der letzten Woche zu einem Ende geführt. Ja, ich glaube ertragen KÖNNTE ich noch so einiges mehr, wenn ich müsste. Aber ich WOLLTE doch einfach auch mal wieder fertig sein. Ich wollte einfach wieder Ruhe haben, ganz zu mir finden und endlich wieder das machen können, was ich gerne machen möchte – ohne Einschränkungen.

Diese Unterscheidung zwischen ‚können‘ und ‚wollen‘ oder ‚können‘ und ‚wollen können‘ ist ja im Grunde auch das was Dr. L meinte. Natürlich habe ich keine andere Wahl, wenn noch irgendwas auf mich zukommt. Und ja ich würde auch das noch schaffen, auch dafür wäre ich noch stark genug. Nur nicht stark in dem Sinne, wie ich es in dem Moment verstanden habe. Nur weil ich nicht mehr will oder nicht mehr können will, heißt es noch lange nicht, dass es nicht mehr geht.

Wir bekommen also nur das was wir ertragen können. Ob wir wollen oder nicht. Und wir können sehr viel mehr ertragen, als wir ertragen wollen. Ich bin jetzt wieder zuversichtlich und meine Gedanken rasen nicht mehr so. (Deine jetzt vielleicht vor lauter können und wollen?) Sie drehen sich auch nicht mehr im Kreis. Ich fühle mich wieder gut, noch nicht ganz so richtig gut wie vor der letzten OP. Aber ich fühle mich wieder gut und glaube auch daran, dass es früher oder später wieder gut wird. Ich glaube sogar wieder daran, dass es eher früher wird als später. Weil ich es ertragen kann oder will oder eher beides?


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