Gefühlte Gefühle fühlen

Heute habe ich mir ein Thema vorgenommen, das nicht gerade zu meinen liebsten gehört. Mit dem ich mich seit meinem Motorradunfall aber häufiger befasse. Es ist ein Thema, das ich hier nicht verschweigen möchte, das vielleicht etwas weniger in meine Beiträge einfließt, weil ich da selbst noch viel dazu lerne.

Es geht hier um Emotionen, Gefühle, Stimmungen.
Ein Unfall wie der meine, mit doch eher drastischen Folgen, wird häufig auch als Trauma bezeichnet. Einerseits körperlich medizinisch, als eine durch Gewalteinwirkung entstandene Verletzung, andererseits psychisch, als „starke psychische Erschütterung, die (im Unterbewusstsein) noch lange wirksam ist“ (Qu.: Duden).

Diese starke Erschütterung ist mir lange verborgen geblieben. Ich fühlte mich gut, mehr noch, ich war davon überzeugt. Und das sehr lange. Wie ich in Erkenntnisse eines Wochenendes schon erwähnte habe, scheint für mich jetzt die Zeit gekommen zu sein, in der ich so weit bin, mich meinen Gefühlen zu stellen. Zu hinterfragen, WIE ich mich fühle und WARUM das wohl so ist. Dabei erscheint mir die eine wie die andere Frage unendlich schwer zu beantworten zu sein.

Prinzipiell bin ich ein rationaler Mensch, meine Gefühle gehörten lange nur zu mir und andere wurden fast nie eingeweiht. Umso erstaunlicher ist es für mich, dass ich mittlerweile verschiedene Leute gezielt einweihe. Ihnen mein Herz ausschütte und zulasse, dass sie große Freude oder eben auch Unsicherheit und Trauer sehen. Und es tut wirklich gut, genau das zu machen. Es fällt mir nach wie vor nicht immer leicht. Aber hinterher, manachmal auch erst am Tag danach, geht es mir besser. Ich bin entspannter, weil ich mich mitteilen konnte.Es wird weiß Gott nicht leichter dadurch, dass ich niemanden kenne, der mir wirklich nachfühlen kann. So muss ich Rückfragen in Kauf nehmen und das versuchen, was mir noch schwerer fällt: meine Gefühle erklären. Und wie es nunmal so ist, kommen manche Fragen erst auf, wenn der Betroffene selbst so weit ist, darüber zu sprechen. Jetzt gibt es Freunde und Bekannte, die Fragen, ob das vergangene Jahr für mich wirklich so leicht war, wie es oft schien. Und ja, so war es.

Bis vor ein paar Monaten ist mir der ganze Sch*** recht leicht gefallen. Jetzt allerdings schaue ich manchmal zurück und wundere mich über mich selbst. Während ich auf Intensiv lag, ging es mir gefühlt gut. Aber niemandem, der dort liegt, geht es gut, sonst käme man dort nicht hin. Ich aber stand voll und ganz hinter meiner Aussage! Warum? Weil ich Optimist bin und überzeugt war, alles würde gut werden, im Winter stünde ich wieder auf dem Fußballplatz. Ich habe in meinem Leben noch nie so falsch gelegen… Aber auch, weil ich quasi mit Medikamenten zugedrönt war. Schmerzen wurden unterdrückt und ich fühlte mich bei meinen Ärzten und den Schwestern und Pflegern in guten Händen. Ein großer Faktor war sicherlich, dass mir in den ersten 4 – 6 Wochen niemand gesagt hat, wie schlimm es wirklich ist und wie sich die ganze Geschichte voraussichtlich entwicklen wird. Als ich das herausfand, war ich richtig sauer auf alle meine Ärzte. Sogar auf Dr. L. Auf sie nur kurz, denn schließlich hatte sie im August schon gesagt, dass sie sofort amputiert hätte, wäre ich direkt bei ihr gelandet. Wie konnten sie mir das denn alle verschweigen? Was ich an Dr. L. so schätze ist u. a., dass sie immer brutal ehrlich ist. Da muss man zwar schonmal harte Fakten schlucken, aber ich weiß lieber, womit ich es zu tun habe, als in Ungewissheit verharren zu müssen. Für mich gibt es nichts schlimmeres, als Ungewissheit.

Ich war also sauer. Das allein ist schon eine Leistung. Der Weg dahin ist weit und es gibt nur sehr wenige Menschen, auf die ich in meinem Leben bisher wirklich sauer war. Allerdings ist mir irgendwann bewusst geworden, dass der gesamte Verlauf sehr gut für mich war. Niemals hätte ich schon im vergangenen Sommer einer Amputation zugestimmt. Das wäre damals für mich gleichbedeutend gewesen mit aufgeben. Und das geht nicht. Geht nicht, gibt’s nicht. Hätten die Ärzte mich nicht gefragt, wäre ich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit erst mal in eine kleine Depression gefallen. Einem Fußballer den Fuß abzunehmen, das geht nun wirklich nicht. Und Fußball war mein Leben. Immer.

Und auch jetzt ist meine Mannschaft unendlich wichtig für mich. Es gibt kein Spiel, dass ich verpasse (es sei denn ich bin im Urlaub). Ich schaue zu, ich fiebere mit, könnte bei wichtigen Siegen Freudensprünge machen und bin traurig, wenn wir verlieren. Es ist schön da zu sein. Manchmal aber, ist das die größte Qual, die ich mir da selbst antue. Dann wünsche ich mir nichts sehnlicher, als wieder dieses gelbe Trikot zu tragen und mit den Mädels alles für ein gutes Spiel zu geben. In solchen Momenten zerreist es mich innerlich. Selbst während ich diese Worte schreibe, bin ich so mitgenommen, dass mir Tränen über das Gesicht rollen. Es muss einfach raus. Es ist schwer mit den Folgen meines Unfalls zu leben. Dabei geht es nicht primär darum, dass es schwer ist mit einer Ampuation zu leben. Aber alles was so daran hängt. Einmal aus dem Leben gerissen worden zu sein ist das eine. Das andere ist es, sich sein Leben wieder zurück zu erobern. Stück für Stück, Schritt für Schritt. Augen zu und durch, hilft dabei nur bedingt. Jammern und weinen hilft dabei nicht direkt. Aber es hilft, loszuwerden. Seinen Mist abladen zu dürfen. Ich habe gemerkt, dass ich entspannter bin, nachdem ich mich mal ausgesprochen habe. Und entspannt kann man den Rest doch viel besser angehen.

Gerade hadere ich öfter mit mir, denn je. Warum? Weil es hin und wieder kleine Rückschritte gibt. Die selbst diesen Namen eigentlich nicht verdienen. Nicht, wenn man weiß, was ein Rückschlag sein kann. Nämlich wenn ein Rückschlag heißt, OP nicht gelungen, da müssen wir nochmal ran. Oder Reha abgesagt, die Wunde heilt doch nicht. Oder eben, Laufen wird so nix mehr. Das zählt für mich zu Rückschlägen. Jetzt zur Zeit reicht aber bereits eine kleine Blase am Stumpf und ich bin mit den Nerven am Ende. Denn diese Blase heißt, dass ich nicht belasten sollte. Das wiederum heißt, abwarten. Und so kurz vorm Ziel, haut mich das um. Warum? Villeicht weil dann sofort alle meine Alarmglocken klingeln und ich mich wieder im Krankenhaus sehe und nach einer OP wieder 3 Wochen ruhen muss. Vielleicht ist es auch ein anderer Grund. Da bin ich noch nicht hinter gestiegen.

Es verwirrt mich, dass ich beim Gehen nicht vor Freude platze. Wirklich, ich hatte wenigstens Freudentränen erwartet. Aber nada, niente, nichts. Das war mir unverständlich und hat mich lange beschäftigt. Catrin, von Beruf Physiotherapeutin, hatte da eine mögliche Erklärung für mich. Das Gehirn hat im Grunde einige erlente Bewegungsmuster einfach immer abgespeichert. Alle kennen die Aussage: Radfahren verlent man nicht. So sei das mit dem Laufen auch. Auch wenn ich jetzt über ein Jahr lang nicht gelaufen bin, war dieses Muster abgespeichert und gerade wird es wieder abgerufen. Noch etwas holprig, aber es ist da. Und weil sich das Gehirn denkt: „Aha, Winterschlaf vorbei, machen wir das mal wieder“, werden auch keine Endorphine ausgeschüttet. Für das Gehirn ist es normal zu gehen. Also fühlt es sich auch so an.

Auch wenn seit der Amputation nicht alles so rund gelaufen ist, wie es könnte und wie ich es gehofft hatte, habe ich die Entscheidung für eine Unterschenkelamputation noch kein einziges Mal bereut. Ganz im Gegenteil, ich bin überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben. Die im Übrigen hauptsächlich emotional war. Fakten haben geholfen, letztendlich den Ausschlag gegeben hat ein Gefühl. Meinen eigenen Fuß zu sehen, auf dem ich stehen und nur kurze Strecken gehen könnte, hätte mich jedes Mal aufs Neue fertig gemacht. Den Stumpf oder die Prothese zu sehen, macht mich nicht glücklich. Aber es ist meine Chance auf Sport und ein Leben, wie es mir schmeckt.

Mittlerweile glaube ich, dass es gut ist diese Emotionen frei zu lassen. Ich habe gelernt, dass es keine Schwäche ist. Ich habe gelernt, dass niemand genau da rein haut und meine Gefühle nutzt, um mich zu verletzen. Ich bin froh, dass das so ist. So hatte der Unfall auch seine guten Folgen.

Zur Zeit bin ich das dritte Mal in psychologischer Therapie bzw. Beratung. Zwei Mal habe ich selbst darum gebeten. Weil es gut ist, sich hin und wieder mit sich selbst zu befassen. Weil es gut ist, neue Dinge über sich selbst zu erfahren. Im vergangen Jahr habe ich zum Beispiel gelernt, dass es mir sehr gut tut, auch mal etwas für mich zu machen und nur auf meine Lust und Laune zu hören. Das ist auch neu – und schön. Eine Frage gibt es, die bisher jeder Therapeut gestellt hat. „Was läuft gerade gut in Ihrem Leben und was soll so bleiben?“ Das ist eine starke Frage, denn wenn man eine Antwort darauf (gefunden) hat, kann man sehr viel Kraft daraus schöpfen. Bitte, scheue dich nicht, diese Frage für dich zu beantworten.

Bei mir läuft gut, dass ich wieder arbeiten kann und dort auch Anerkennung bekomme. Meine Kollegen schätzen meine Arbeit wert und kommen auch mit Fragen zu mir.
Bei mir läuft gut, dass ich im Studium wieder Fortschritte mache.
Bei mir läuft gut, dass ich Freunde und Familie habe, die immer zu mir stehen und immer für mich da sind.
Bei mir läuft gut, dass meine körperlichen Wunden endlich heilen.
Bei mir läuft gut, dass meine Physio- und Ergotherapeuten Fortschritte sehen und mit Spaß bei der Sache sind.
Bei mir läuft gut, dass ich in Karsten einen Prothesenbauer habe, der mich versteht und sich selbst darauf freut neue Komponenten auszuprobieren und mir die bestmögliche Prothese zu bauen.

Was gut ist, darf gern so bleiben! Ich wäre aber nicht die Märri, wenn ich nicht daran arbeiten würde noch ein Schippchen oben drauf zu legen. Gefühle zuzulassen, ist eines davon.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar