Das alte Jahr ist so gut wie vorbei und das neue winkt schon von der Ecke. Es ist traditionell die Zeit auf das zurück zu blicken, was war, aber auch auf das zu schauen, was kommt oder kommen soll.
Was für mich kommen soll ist klar: wieder richtig laufen und zurück zum Sport. Allerdings ist das ein konstanter Plan und nicht ‚einfach‘ so ein Neujahrsvorsatz. Bleibt der ausführlichere Blick zurück.
Wenn ich das dieser Tage mache, dann schaue ich nie nur bis zum 1.1.2016 oder 31.12.2015, ich schaue automatisch bis zum Unfalltag zurück. Häufiger habe ich bereits gesagt, dass meine Zeitrechnung an diesem Tag neu eingesetzt hat. In diesen eineinhalb Jahren ist so viel passiert, dass ich kaum glauben kann, dass es wirklich ’nur‘ 1,5 Jahre sind. Andererseits ist die Zeit wieder so schnell vergangen, dass es sich nicht wie ’schon‘ 1,5 Jahre anfühlt. Die Zeit ist da kompromisslos, sie läuft einfach in ihrem Rhythmus, was wir draus machen ist unsere Sache.
Wenn 2016 auch viele Rückschläge und Tiefpunkte für mich im Petto hatte, muss ich sagen: ich hatte auch sehr viel Glück und viele tolle Momente, die all das überwiegen! Ich kann gar nicht oft genug wiederholen, dass es die Menschen in meinem Leben sind, die mir diese Momente bescheren, sie mit mir teilen, sich für mich und mit mir freuen, mir den Rücken frei halten oder stärken. Familie, Freunde, Fachärzte, Therapeuten, Techniker… Sie sind mir alle auf ihre Weise unschätzbar viel Wert. Sie sind meine Konstante in der vergangenen Zeit gewesen.
Auf die größeren Ereignisse des greifbaren Geschehens können wir an dieser Stelle gemeinsam zurück schauen.
Der Unfall, der mich – so klischeehaft das klingt – erst mal aus dem Leben gerissen hat, war sicherlich einer der Tiefpunkte. In der folgenden Krankenhausphase ging es erst bergauf, ich wurde zu absoluten Profis verlegt, die meinen Fuß reparieren sollten. Ich war absolut zuversichtlich, dass es ihnen gelingen wird. Aber es kam ja alles irgendwie anders als geplant.
Es lief alles nach Plan, nur der Plan war sch***.
So sagt man doch. Der Plan war aber ziemlich gut. „Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt“ war wohl eher die Devise. Eine Lappenplastik
zur Rettung meines Fußes reichte nicht aus. Ich bekam eine Thrombose, landete auf der Intensivstation. Jeder zweite Tag brachte eine neue OP mit sich, oft genug ’nur‘ zum Spülen der Wunde. Ein Keim hielt Einzug. Zwei Wochen später war eine weitere Lappenplastik geglückt, ich durfte auf Normalstation. Auch Hauttransplantationen gab es mehrere. Auch wenn ich Aussagen hörte wie: dieser Weg ist keinesfalls der leichtere – für niemanden – ich hätte vermutlich direkt amputiert. Ich glaubte daran in der Winterpause wieder ins Training einzusteigen und in der Rückrunde auch wieder in der Meisterschaft zu spielen. Das hat mich aufrecht gehalten, ich wollte unbedingt wieder Fußball spielen. Mit und mit ging es bergauf. Rollstuhl wurde zu Unterarmgehstützen, gestattet war dann eine 10 kg-Belastung des linken Fußes in Spezialorthese. „Bald wird es“, dachte ich.
Es kam der Dezember 2015 und die Hammeraussage: Es gäbe genau zwei Möglichkeiten wieder frei zu laufen. Eine Sprunggelenksversteifung oder eine Unterschenkelamputation. Zack, war er weg der Boden unter meinen Füßen. Ich dachte, das war’s, nie wieder Fußball. Tiefer konnte ich nicht fallen. Es war grausam. Meine Ärzte planten zunächst die Versteifung. Eine entsprechende OP wurde zwei Mal angesetzt und zwei Mal abgesagt.
Vorher ging es noch ein langes Wochenende an die See. Einfach die Seele baumeln lassen und Krankenhaus Krankenhaus sein lassen. Eine Pause nach 18 OPs. Und es war toll! Mit Krücken am Strand spazieren. Bis zu 1,5 Stunden am Stück die Natur genießen. Es war mein deutliches Zeichen, dass die Fitness wieder kommt. Der Beweis an mich, dass die Physiotherapeuten recht hatten, als sie sagten es würde sicher schnell bei mir gehen. Ich war froh und hatte Kraft für die nächste OP getankt.
Doch erst war die Heilung meiner Knochen zu schlecht, das Risiko den Schienbeinbruch zu erneuern war zu groß. Dann hatte einer der Drähte sich seinen Weg an die Oberfläche gesucht. Diese Wundsituation war für eine OP auch nicht prickelnd.
Zwischen diesen OPs wurden meine Gedanken etwas klarer, ich war nicht mehr so sehr erschlagen und begann mich zu informieren. Ich wollte auch von anderen Menschen hören wie es sich mit beiden meinen Optionen lebt. Die Kompetenz meiner persönlichen Götter in weiß habe ich niemals nur eine Sekunde angezweifelt, aber ich brauchte Erfahrungen. Mit der Versteifung war ich mir dann nicht mehr so sicher. Gemeinsam mit meiner Handvoll Ärzte entschied ich mich für eine Pause. Ich wollte in mich gehen und selbst entscheiden, was besser für mich ist. Das war der Startschuss für ein paar Wochen des Haderns, der Ungewissheit, der Zweifel, der Fragen, des in-mich-hinein-Horchens. Gewiss keine schöne Zeit.
Groß war die Erleichterung, als ich mich entschieden hatte. Die Erkenntnis nur dank eines Gesprächs mit einer guten Freundin. Obwohl eine Amputation kein Grund zur Freude ist, ging es mir wirklich gut. Zwar war diese Entscheidung nicht für alle verständlich und nachvollziehbar, aber mir schien es richtig.
Im April 2016 war es so weit – der große Schnitt. Unmittelbar vor der Narkose hat mich die Angst gepackt, ich war mir plötzlich gar nicht mehr so sicher. Ich lag auf meiner OP-Liege und Tränen liefen mir übers Gesicht. Wie verrückt muss ein Fußballer sein, sich seinen Fuß abnehmen zu lassen? Es erschien mir plötzlich wie das dümmste der Welt. Der Anästhesist kannte mich auch schon seit langem, hat mir die Zeit gegeben und sich sogar ob dieser Gefühle gefreut. Ich sei in all der Zeit davor unfassbar stark gewesen, irgendwann müsse es ja raus und das sei auch gut so. Nach ein paar Minuten war ich so weit.
Szenenwechsel: Aufwachraum. Mir war klar, mein Fuß war ab. Aber jetzt hatte ich Angst. Tierische Angst an mir runter zu schauen und festzustellen, dass es der größte Fehler meines Lebens war. Aber alles gut! Der Anblick löste in mir nur einen Gedanken aus: das war richtig!
Und er hat mich seither nicht verlassen. Ich war froh und voller Tatendrang, wollte endlich wieder laufen. Die Narbe und er Stumpf heilten sehr gut. Der Wind hatte sich gedreht, nur noch bergauf.
Ich durfte nur 3,5 Wochen nach der Amputation auf Mannschaftstour. Trotz starker Schmerzmittel und damit einhergehender Müdigkeit habe ich jede Sekunde in Holland genossen. Meine Mädels um mich rum und das Wissen, dass alles endlich alles gut war. Karsten nannte meinen Stumpf „den besten, den ich je gesehen habe“. Wow. So etwas hatte ich lange nicht gehört. Ich bekam schnell meine Prothese, wechselte von zwei Krücken auf eine. Es ging vorwärts. Wenigstens ein paar Wochen.
Eine Entzündung machte sich bemerkbar. Zwei Wochen hatte ich bis zur endgültigen Diagnose nicht belastet. Dann hieß es mal wieder: OP. Ich begab mich also wieder in fähige Hände. Auch dieses Mal war die Heilung gut. Ich bekam eine neue Prothese und durfte wieder anfangen laufen zu lernen. Meine Welt war wieder in Ordnung.
Einmal ist keinmal, schien mein Körper sich zu denken und schickte nach wieder nur ein paar Wochen eine neue Entzündung. Meine Welt brach zusammen. Hatte ich zu viel gewollt und mir zu viel zugemutet? Womit hatte ich das verdient. Ich war am Ende. Meine Akkus waren leer. Ich wollte mich einfach nur fallen lassen. Hatte keine Kraft nach vorn zu sehen. Der Optimismus hatte mich verlassen. Alle guten Worte halfen nichts. Immerhin gab es einen Grund für die neuerliche Entzündung. Mein Körper hatte die Fäden, mit denen Muskeln genäht werden, abgestoßen. Die waren ja jetzt draußen und eigentlich gäbe es nichts mehr, was jetzt noch schief gehen könne. Ich blieb skeptisch. War dieses Mal wenig euphorisch und ging immer mit einem etwas mulmigen Gefühl zu den Kontrolluntersuchungen.
Dieses Mal ging die Heilung nicht ganz so schnell. Wer kann das seinem Körper nach 21 OPs innerhalb von 13 Monaten jedoch verübeln? Die Belastungspause nach der OP war also etwas länger als sonst.
In der Zeit fuhren wir als Familie 3 Wochen in den Urlaub. Wieder abschalten und raus kommen. Der Urlaub war schön, Erholung sieht aber anders aus. Für den Kopf ja, aber ich habe mich zu Höchstleistungen mit den Krücken gepusht. 300 Stufen am Tag und Stadtsightseeing waren kein Problem. Abends habe ich so gut geschlafen wie selten.
Nach dem Urlaub dann die Worte, die ich über ein Jahr lang nicht mehr mit dem passenden Tonfall gehört hatte: Das sieht gut aus! Es hat ein paar Tage gedauert, bis ich das wirklich verstanden habe. Im September 2016 wäre das dann der letzte Kontrolltermin gewesen.
Jetzt sollte nichts mehr schief gehen. Es gab eine neue Prothese mit Vakuumsystem. Und ich bin einfach losgelaufen, als hätte ich nie etwas anderes gemacht. Ich durfte dann zur Reha. Endlich! Und ich war sogar da, ist noch gar nicht so lange her. Dummerweise hatte ich Probleme mit Blasen und wir mussten die Reha abbrechen. Das war rein physisch natürlich nur ein minikleiner Dämpfer, vor allem nach dem ganzen anderen Mist. Psychisch hat es mich wieder hart getroffen und ich bin weit nach unten gerauscht. Geduld ist noch immer nicht meine beste Disziplin.
Vielleicht habe ich darin aber doch Fortschritte gemacht. Als ich dachte, dass ich jetzt bestimmt wieder in die Belastung dürfte, habe ich noch drei Tage gewartet.
Dann erst wieder eine Woche lang zu den Krücken gegriffen, um nicht direkt in die Vollbelastung zu gehen. So eine Zwangspause möchte ich nicht noch einmal erleben.
Es hat sich ausgezahlt. Da ich diese Zeilen schreibe ist der 12. Tag in Folge ohne Stützen! Am Tag vor Heiligabend gab es das bisher schönste Geschenk: mit Freunden tanzen!
Allen mit normaler Zeitrechnung wünsche ich einen guten Rutsch und ein frohes neues Jahr!
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