JETZT!

Zum heutigen Welttag des Buches und des Urheberrechts ist der Zeitpunkt gekommen über ein Buch zu schreiben, dessen Kernaussauge mir gut gefällt. JETZT! Die Kraft der Gegenwart: Ein Leitfaden zum spirituellen Erwachen von Eckhart Tolle wurde mir von einer Freundin ans Herz gelegt. Warum sie das tat ist eigentlich wenig verwunderlich. Wir sprachen darüber, dass ich mich durch meinen Unfall und dessen Folgen wieder an eine Lebenseinstellung erinnerte, die ich auf einem tropischen, afrikanisch angehauchten Eiland kennen und lieben lernte. Nämlich, dass nur der Moment, den du gerade lebst, wichtig ist. Sonst nichts.

Was sich so einfach daher schreibt, ist gar nicht so leicht umzusetzen. Ich persönlich habe damals mehrere Monate gebraucht, diese Idee wenigstens teilweise mit Leben zu füllen. Später allerdings war es eine der besten Erfahrungen meines Lebens. In den vergangenen 22 Monaten habe ich sehr von dieser Erfahrung profitiert. Das was einmal war, ist vergangen. Das was einmal war, können wir heute nicht mehr ändern. Was wir tun können ist die Situation anzunehmen. Was wir tun können ist im Jetzt zu leben. Tolle nennt dies den Zustand des gegenwärtig Seins. Je besser wir die Gegenwart / das Jetzt annehmen können, desto weniger Schmerz/Leid werden wir fühlen. So ein Teil der Theorie.

Der Gegenwärtigkeit steht ein Konzept gegenüber, das vielen als „verkopft“ ein Begriff ist. Meiner Meinung nach schreibt Tolle im Grunde, dass zu viel zurück denken und vor allem zu viel ZERdenken einem tollen Leben im Wege stehen. Wer ist denn die Person, die aktiv denkt? Wir selbst. Wir lassen uns von unseren Köpfen lenken, bleiben so zu viel in der Vergangenheit, weil wir alte Muster wiederholen. Wenn aber der Verstand unser Leben lenkt, dann kommt es, so Tolle, unvermeindlich zu Problemen und Konflikten. Im Hier und Jetzt allerdings gebe es keinen Verstand. Die Situation lenke uns schon. Was er nicht schreibt, ist die weit verbreitete Idee aus der Vergangenheit zu lernen. Ich glaube daran, dass die eigene Vergangenheit uns zu dem Menschen macht, der wir gerade sind. Geht das ohne zurück zu blicken? Geht das, indem ich ausschließlich im Jetzt bin? Das ist die Frage, die mich von den ersten bis zu den letzten Seiten immer begleitet hat. Sie sind der Grund, warum ich das Buch oder Tolles Ideen und Konzepte nicht lobpreisen kann. 

Dennoch war es ein Buch, das ich weiter empfehlen kann. Gerade, wenn man eine schwere Zeit durchlebt. Eckhart Tolle schreibt einige Passagen, in denen ich mich wieder finden konnte. Zeilen, die ich stark und wahr finde. Auf Seite 90f des Buches heißt es: 

„Für viele Menschen sind gerade Begrenzung, Versagen, Verlust, Krankheit und verschiedene Fromen von Schmerz zum wichtigsten Lehrmeister geworden. So haben sie gelernt, ihre falschen Selbstbilder und die oberflächlichen vom Ego diktierten Wünsche loszulassen. So entwickeln sie Tiefe, Demut und Mitgefühl. Sie wurden echter. Immer wenn dir etwas Negatives widerfährt, ist darin eine tiefe Lehre enthalten, obwohl du das im Moment vielleicht nicht siehst. Selbst eine kurze Krankheit odder ein Unfall können dir zeigen, was in deinem Leben echt oder unecht ist, was wirklich Bedeutung hat und was nicht.“

Ich erinnere mich an verschiedene Szenen, in denen die Wahl eines Fernsehers, die Meinung zu einem Disput innerhalb der Mannschaft oder die Farbe eines Badezimmerschrankes für meine Gegenüber überaus wichtig waren (so schien es mir jedenfalls). Für mich allerdings waren das so nichtige Fragen. Liegst du zu diesem Zeitpunkt auf einer Intensivstation könnte kaum etwas irrelevanter sein. Es war ein Gewinn selbst atmen zu können und mir wichtige Menschen sehen zu dürfen. Es war wichtig gerade nicht im OP oder im Delirum zu sein.

„Wann immer also irgendein Unglück eintrifft oder etwas ernsthaft ’schief geht‘ – Krankheit, Behinderung, Verlust des Zuhauses oder des Vermögens oder einer sozial definierten Identität, Auflösung einer nahen Beziehung, Tod oder Leiden eines geliebten Menschen oder dein bevorstehender Tod, sei gewiss, sei gewiss, dass es noch eine andere Seite gibt […] Ich will damit nicht sagen, dass du in einer solchen Situation glücklich werden wirst. Das wirst du nicht. Aber Angst und Schemrzen werden in einen inneren Frieden und eine Gelassenheit umwandelt, die von einem sehr tiefen Ort kommen“ (S. 257)

Es waren solche Passagen, die mich berührt haben. Eckhart Tolles JETZT! Die Kraft der Gegenwart: Ein Leitfaden zum spirituellen Erwachen darf nicht mit einer Anleitung zum glücklich werden verwechselt werden. Der aufmerksame Leser wird aber Hinweise bekommen, wie er mit dem Jetzt zufrieden werden kann und so keine Negativität mehr aufbauen wird. Mir persönlich war es in der Abhandlung zu zwischenmenschlichen Beziehungen, Schmerz, Leid oft zu spirituell. Die Denkanstöße aber fand ich durchaus lesens- und erlebenswert. Es ist kein Buch zum einfach weglesen; es ist ein Buch zum zwischendurch weglegen und sacken lassen.

Das Jetzt mehr zu akzeptieren, mehr zuzulassen, mehr im Moment zu sein – das kann ich weiter empfehlen.