Die Reha

„Drei mal drei macht sechs“, singt die kleine rothaarige Pippi Langstrumpf bei Astrid Lindgren. Unsereins hat das im Matheunterricht anders gelernt: drei mal drei macht neun. So, und das ist auch die Zeit, die ich jetzt in Reha war. Und es war eine tolle Zeit! Wie immer lief es nicht ganz so wie geplant, aber das Ergebnis ist klasse!

Einen kleinen Einblick gab es in den vergangenen Wochen bereits. Bewusst habe ich dabei den Trainingsalltag außen vor gelassen. Also ist das heutige Thema klar; es geht um die Anwendungen in meiner Gesundheitswiederherstellungsmaßnahme. So nennt es die Personalabteilung bei mir auf der Arbeit. Als krank hätte ich mich zwar nicht bezeichnet, Wiederherstellungsmaßnahme stimmt aber. Schließlich will ich mir meine Bewegungsfähigkeiten zurück erobern. So war ich vielleicht eher in einer Bewegungswiederherstellungsmaßnahme.

Viele Freunde fragten mich vorher, warum denn wieder in diese Klinik, in der ich schon so oft und lange war, die noch dazu so weit von zu Hause weg ist, möchte. Die Antwort war leicht: Weil ich mich dort wohl fühle und ich weiß, dass die Betreuung einfach spitzenklasse ist.

Meine Ziele für die Reha nach der Unterschenkelamputation hatte ich im Kopf: rund laufen, weniger Spiel-und-Standbein, Vorbereitung auf Fußball, mehr Stabilität im linken Knie, Treppen vernünftig laufen, Balance und noch ein paar mehr. Und ich muss sagen: Alles abgearbeitet. Hier und da ist natürlich noch Luft nach oben, aber wir (ich schließe die Therapeuten bewusst mit ein!) haben viel erreicht. Bei dem Trainingsplan muss das auch so sein. Trainingsplan RehaNachmittags war ich immer noch ein zweites Mal beim Gerätetraining, weil ich so viele Übungen bekam, dass ich in der einen Stunde am Vormittag lang nicht fertig war. Selbst Schuld 😉 Denn wer bei den Therapeuten ehrgeizige Ziele anmeldet wird auch entsprechend behandelt.

Am ersten Tag war ich noch etwas enttäuscht. Es war mir zu entspannt, so kannte ich sie gar nicht. Aber schon 24 Stunden später sah es ganz anders aus und ich war am Nachmittag fix und foxi. So wollte ich das haben. Überhaupt finde ich es beachtlich, wie gut sich alle Therapeuten immer wieder auf die Tagesform und die Patienten einstellen! Ich hatte von der ersten Minute an viel Spaß.

Als mir ganz am Anfang der Reha auffiel, dass ich ewig nicht so viel sportliche Aktivität hatte, hätte ich vor Freude Sturzbäche heulen können. Überhaupt kam ich gerade in den ersten paar Wochen kaum aus dem Strahlen raus.

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Ergometer

Ein Teil meiner Ärzte sprach mich an, dass man mir ansehen könne, wie gut mir das alles täte. Es ist auch einfach viel zu schön ohne Krücken trotzdem platt zu sein! So machte es mir auch plötzlich nichts mehr aus, die Prothese in der Mittagspause mal abzulegen oder auch Abends mal zu lüften. Ich wusste endlich, dass ich eine bessere Beweglichkeit nicht in einer Stunde ohne Prothese wieder verliere. Das war eine immens wichtige Einsicht.

So war ich neun Wochen lang von morgens acht Uhr bis nachmittags um vier schwer beschäftigt. Die ersten beiden Einheiten am Morgen waren zum wach werden. Eine Stunde wurde an der Bein- und Bauch- sowie Rückenmuskulatur gearbeitet. Am Anfang war es doch eher eine Plagerei, aber am Ende ging auch bei den schweren Übungen noch ein Satz mehr und auch der vergleichsweise leicht. Mit zunehmender Muskulatur wurde auch mein Gang
bild besser. Klar, wenn man mit dem gesamten Körper kompensieren kann ohne an die Grenzen zu stoßen, ist das schon ein großer Vorteil. Also konnte ich auch zwei Stunden am Tag mit KrafttrainingIMG_1695-1
verbringen. Das ist zwar stupide und eher langweilig, aber es zahlt sich definitiv aus! Und jedes Mal, wenn man an der Beinpresse ein Gewicht höher gehen kann, oder den Adduktoren mehr zumutet, ist das ein tolles Gefühl. Endlich leisten die eigenen Muskeln wieder was. Endlich fühlt es sich wieder nach Sport an.

 

Natürlich gab es auch Ergo- und Physiotherapie. Letztere mit genau dem Therapeuten, der mich seit Juli 2015 kennt. Der mich schon auf der Intensivstation behandelt hat und sich lebhaft daran erinnert, dass es schon eine Leistung war den rechten Arm drei Zentimeter anzuheben. So hatte ich mit Dennis jemanden, der genau weiß woher ich komme und der immer wieder betonte, dass diese Entwicklung gewiss nicht normal sei. Und darauf bin ich stolz.

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Nordic Walking

Ich möchte wieder aktiv auf dem Fußballplatz stehen, da reicht normal auch nicht aus. Von meiner grandiosen Ergotherapeutin Andrea gab es Kontrastprogramm und das war gut so. Sie hat mich ordentlich getriezt. Ihr Lieblingssatz: „Augen nach oben, deine Füße wissen was sie tun.“ Und recht hat sie. Direkt danach hörte ich oft: „Das war okay, aber geht besser, ne?!“ Es war insgesamt kein Zuckerschlecken, eher harte Arbeit. Aber Arbeit mit viel Spaß. „Lächeln nicht vergessen. Und atmen. Und wem das alles zu viel wird, der hört einfach auf zu atmen.“ Mit allen Therapeuten konnte ich scherzen, aber auch mal ernste Gespräche führen. Und sie haben immer gemerkt, wenn es vielleicht mal wichtiger war zu sprechen als zu trainieren. Umgekehrt aber auch, wenn sie so richtig das Allerletzte aus mir rausholen konnten. Zum Beispiel, wenn ich in der Prothesengehschule (1:1 Betreuung) auf einer dicken Matte auf der Stelle sprinten musste. In jeder Ecke einmal und von einer Ecke zur nächste Kniehebelauf. „Komm, drei Runden. Schneller. Noch schneller. Knie höher. Und noch eine Runde. Nicht aufhören. Eine noch. Los.“ So kam es vor, dass ich nach Luft schnappend da saß oder lag. Grandios! Körperliche Erschöpfung in Folge von Sport ist selten geworden in meinem Leben, wird aber demnächst wieder dazu gehören.

Es hat 20 Monate gedauert, bis ich wieder mal gerannt und gesprungen bin. Und das ist das nächste Thema. Springen ohne funktionierendes Sprunggelenk ist eine Herausforderung. Dafür muss ich mehr aus dem Knie arbeiten. Gar nicht leicht, sich anders abzudrücken und dann das Bein anzuziehen.

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Hüftbeuger

Naja, Übung macht mal wieder den Meister. Das ist ein Bereich, an dem ich jetzt noch weiter arbeiten muss. Auch die Balance ist noch nicht ganz mein Freund. In Bewegung ja, aber langsam und auf der Stelle? Naja… So bleibt den Therapeuten zu Hause aber auch noch was zu tun. Auf die freue ich mich auch schon wieder. Balance und hintere Beugemuskulatur sind meine zwei Baustellen. Neben dem Joggen. Dieser total runde, flüssige Bewegungsablauf mit viel abrollen gehört noch nicht zu meinen Freunden. Sprinten geht sehr viel besser, da reicht der Vorfuß zu, das Abrollen fällt weg. Nur kann ich ja nicht immer nur sprinten. Bisher ist mein Joggen unrund und fühlt sich platt an, wie ein Elefant im Porzellanladen. Töröööö hier komm ich, stampf stampf.

Ich bin jedenfalls glücklich! Es bleibt nur mich zu wundern welch wahnsinnig große Rolle der Kopf bei Bewegung spielt. In der Koordinationsgruppe kann ich hinter Bällen herjagen, Tischtennis spielen und was mir sonst noch so einfällt. Da gibt es kein Bewegungsproblem, keine Verletzung. Da macht der Körper einfach. In der Ergo oder Physo sind solche Bewegungen dagegen unendlich schwer. Wobei das Prinzip das selbe ist. Sie sind nur bewusster und dadurch kompliziert. Das ist doch eine echte Fehlkonstruktion.

Apropos Fehlkonstruktion. Einleitend hatte ich erwähnt, dass nicht alles ganz geplant lief. Zwischendurch habe ich mal wieder zu laut „Hier!“ geschrien. Denn eine Erfahrung fehlte mir in Sachen Umweg noch: ein Hautpilz. Klar, nehm ich auch sowas noch mit. Im Grunde ist das harmlos, die Haut ist gerötet und kann jucken. So das Prinzip Fußpilz. Der lebt gern dort, wo es warm und feucht ist, also findet er in einem Liner die perfekten Lebensbedingungen. Gerade wenn man mehr Sport macht als sonst und mehr schwitzt fühlt er sich wohl. Am besten ist da vorbeugen. Regelmäßig den Liner ausziehen, angesammelten Schweiß wegkippen und den Stumpf abtrocknen. Ich bekam auch ein Antitranspirant mit reichlich Aluminium drin. Aus Deos ist das mittlerweile verbannt, aber es hat wahre Wunder bewirkt. Mittlerweile schwitze ich wirklich kaum noch am Stumpf und muss schon hart trainieren, damit sich doch noch Wasser sammelt. Wenn der Pilz allerdings schon da ist hilft nur eins: Pause. In meinem Fall waren das zwei volle Wochen ohne Prothese. Ich war wieder an Krücken, habe aber ein angepasstes Programm durchgezogen und so wenigstens weiter am Muskelaufbau arbeiten können.

Zwischendurch hatte ich auch eine scheinbar eingebaute Fußhupe. Die kam daher, dass im Schaft zu viel Luft war. Und obwohl ich das Gefühl hatte der Schaft sitze eng, brachte ein zusätzlicher Stumpfstrumpf (tolles Wort!) Erlösung. Gelenkus knackus gab es auch zeitweise. Abhilfe schaffte da, die Schrauben am Fuß nochmal nachzuziehen.

Und damit nicht nur an der Technik alles wie geschmiert läuft, kann man auch eine kleine Kopfübung machen. Andrea hatte noch einen Rat für mich, den ich immer wieder beherzige: Hin und wieder die linken (amputierten) Zehen ansteuern und damit wackeln. Das aktiviert die verbliebene Muskulatur und regt das entsprechende Hirnareal an. So bleibt alles fit.

Ein Teilergebnis des ganzen Trainings könnt ihr hier begutachten:

Dann hieß es Abschied nehmen. Ich war 2 Monate und 2 Tage zur Reha. Das ist genau die Zeit, die ich direkt nach dem Unfall auch im Krankenhaus war. 2 Monate und 2 Tage am Anfang und am Ende. Ein netter Rahmen, oder? Mit einem deutlichen Unterschied: Dieses Mal konnte ich aufrecht und auf zwei Beinen raus GEHEN. Dieser Abschied ist mir alles andere als leicht gefallen. Es sind viele Tränen geflossen. Für mich war es vergleichbar mit einem Auslandsaufenthalt. Nicht alles, was in dieser Klinik passiert ist, war schön. Aber ich verbinde so viel Gutes mit ihr. Ich durfte tolle Menschen kennen lernen – Patienten und Beschäftigte. Es gibt vieles an das ich mich gern erinnern werde! Umarmungen von Patienten, Therapeuten, Servicepersonal, Schwestern und Ärzten haben es mir nicht leichter gemacht. Dieser Tag war ein emotionales Chaos.

Jetzt ruft mein neues altes Leben. Normalität in neuem Gewand. Die ganze verdammte Zeit habe ich immer gesagt: „Das wird wieder, das geht wieder.“ In der Reha habe ich gemerkt, dass es auch tatsächlich geht. Ich habe lang genug davon geträumt und daran geglaubt – jetzt habe ich gezeigt, dass ich Recht hatte. Ab sofort kann ich für ein greifbares Ziel arbeiten. Ich weiß jetzt, dass alles gehen wird!

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