Neue Prothese. Als ich sie am Freitag anprobiert habe, war es toll! Ich konnte direkt wieder mit nur einer Krücke laufen und das deutlich flüssiger als beim ersten Mal mit meiner ersten Prothese im Mai. Es war auch wieder toll zu laufen.
Oder so etwas ähnliches wie laufen. Nur dieses Hochgefühl vom letzten Mal hat sich nicht eingestellt. Trotzdem ist es ein Wahnsinnsgefühl wieder das Ziel in greifbarer Nähe zu haben. Auch mein Prothesenbauer ist dieses Mal etwas vorsichtiger. Ich sollte mal nicht direkt von morgens bis abends mit der Prothese rumlaufen. Außer ich habe null Schmerzen. Auf jeden Fall soll ich immer mal wieder den Stumpf angugcken, ob es Druckstellen oder so gibt. Bisher nur die leichte Rötung bei / um den Schienbeinknochen rum. Die ist nach wie vor da, aber auch ganz normal. Hauptsache sie wird nicht größer – und das heißt, sie soll nicht den gleichen Umfang bekommen wie das Bein. Und an die Ansage habe ich mich gehalten und am ersten Tag immer nach ein paar Stunden eine Prothesenpause gemacht. Sonntag habe ich die Pausen schon gestrichen, bin dafür aber wenig gelaufen und habe sie auch nur vom Frühstück bis zum Abendessen getragen.
Am Samstag war es dann so, dass mein Bein schon wieder sichtbar dünner geworden war. Aber das kann man mit Socken ausgleichen. Die zieht man über den Liner und füllt so den kleinen Hohlraum. Dann sitzt die Prothese wieder fester und es läuft sich besser, denn der festere Sitz sorgt dafür, dass man weniger auf dem Stumpf läuft und auch ein Teil des Gewichts über das Knie auf die Prothese kommt. Das ist wirklich angenehm, weil es weniger spürbaren Druck gibt. So konnte ich am Samstag beim Fußballturnier auch entspannt mehrmals die Treppe hoch und runter.
Und am Besten laut Physiotherapeut mit beiden Krücken laufen. Dann belaste ich das linke Bein zwar automatisch weniger, aber laufe insgesamt symmetrischer. Und das ist gesünder als später so eine Fehlhaltung zu korrigieren.
Jetzt beginnt also die Arbeit an der Vollbelastung und damit die Arbeit am Laufen. Der Anfang dafür ist jetzt mein Gehirn davon zu überzeugen, dass auch eine Vollbelastung voll in Ordnung ist und es das Jahr ohne Belastung wieder vergisst. Das ist unvorstellbar schwer. Mittlerweile bin ich mehrfach bei der Physio gewesen und bei meinem Prothesenbauer. Und bei deiden musste ich zwischendurch schlicht heulen. Viel zu vielen Emotionen auf ein Mal. Freude darüber, dass es aufwärts geht. Freude darüber, dass es nicht die falsche Entscheidung war. Erleichterung aus den gleichen Gründen. Verzweiflung, weil ich trotzdem nicht weiß, wie es weiter gehen wird. Enttäuschung, weil es schwer ist. Ich dachte mir ja, dass es schwer wird. Aber ich hatte mir diesen Teil doch leichter vorgestellt.
Es gibt jetzt also neue Übungen. Im Stehen das Gewicht verlagern, versuchen auf einem Bein zu stehen, nur noch nicht ganz ohne Halt. Skifahrerhocke mit Gewichtverlagerung, Bälle fangen auf einem Hüpfball hüpfen und dabei mit beiden Füßen abwechselnd stampfen. Letzteres geht ganz gut. Der ein oder andere Schritt ohne Krücken funktioniert auch, fühlt sich aber so richtig falsch an. Als würde ich etwas ganz Verbotenes tun. „Laufe“ ich häufiger auf und ab, kommt ein dumpfer Schmerz hinten unten im Stumpf. Der kommt wohl daher, dass die Sehnen, die fürs Strecken verantwortlich sind, sich schneller zurückbilden und daher jetzt angestrengter sind. Außerdem wurden die Wadenmuskeln ja mit denen vorne im Bein verbunden und arbeiten jetzt ein bisschen anders als vorher. Das ist ungewohnt.
Die Übungen, die ich eigentlich auch zu Hause machen könnte funktionieren bisher einfach nicht. Es klappt irgendwie nicht. Und das liegt nicht daran, dass ich Angst habe hinzufallen. Das ist nicht der Fall, mein rechtes Bein ist stark genug mich abzufangen. Aber wenn ich zu Hause bin, ist da so etwas wie eine Sperre in meinem Kopf, die Belastung und Bewegung nicht verschmelzen lässt. Ich glaube ich stehe mittlerweile ein bisschen ausgeglichener. Es wird wohl Zeit brauchen. Auch wenn ich immer sage, dass es nach einem Jahr warten auch egal ist, ob es 3 Wochen dauert oder 6 oder 3 Monate. Es ist mir nicht egal und ich möcht die schnellste dieser Varianten. Deshalb warte ich sehnsüchtig auf die Reha.
Wann die beginnt liegt in den Händen meines Prothesenbauers. Normalerweise entscheiden das die Ärzte. Dr. L. sagt allerdings, dass medizinisch jetzt alles so weit ist, aber die Prothese das ja auch mitmachen soll. Und für Prothesen und Prothesenträger ist nunmal der Prothesenbauer der Experte. Recht hat sie. Bis er also grünes Licht gibt, versuche ich die Prothese mehr zu belasten ohne zu übertreiben. Weil aber die Belastung schwer umzusetzen ist, wird das Übertreiben wohl aus bleiben.
Also: hier startet die Mission „freihändiges Laufen“. Ironischerweise ist ein Synonym zu Mission auch Operation. Das soll dann wirklich die letzte im Bunde sein!
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