Normal kann jeder

Was für ein Wochenende! Und eigentlich nicht nur das Wochenende. Es liegen wieder ziemlich ereignisreiche Tage hinter mir. Aber ich kann sagen: Wenn es in Sachen Gesundheit mal wieder langweilig wäre, würde ich mich doch sehr freuen.

Die Geschichte beginnt am Freitag. Und der gehört doch im Grunde schon zum Wochenende, oder nicht? Der Freitag hat hervorragend angefangen, denn seit Freitag gehe ich wieder einem richtigen Job nach, das heißt ich fahre in den Büro und arbeite. Das ist ganz hervorragend für mich und unendlich toll endlich wieder was zu machen was „normal“ und sinnvoll ist. Ja das ist irgendwie unbeschreiblich! Hätte ich früher niemals gedacht, dass mir die Arbeit mal so fehlen könnte. Aber es ist einfach toll! Naja, so gut der Tag anfänglich auch war ging er nicht weiter. Denn als ich dann am späten Nachmittag wieder zu Hause ankam, die Prothese abgelegt und den Liner ausgezogen habe, um zu sehen wie es so nach dem ganzen Tag im Büro aussieht. Schließlich bin ich doch anfänglichen viel herumgelaufen. Was musste ich dann feststellen?

Wieder eine offene Stelle, die ein kleines bisschen vor sich hin nässte. Die war dieses Mal kleiner als beim letzten Mal, aber es sah trotzdem nicht ganz so toll aus. Aber auch nicht ganz ganz so schlimm, sodass ich mir dachte: „Mit einem Abend und einer Nacht Ruhe wird das morgen schon wieder gehen.“

Ja und genau so sah es am Samstagmorgen auch aus. Ich war also wieder beruhigt. Habe mich sehr darauf gefreut mit Freundinnen brunchen zu gehen. Und weil man in der Innenstadt so ganz „hervorragend“ parken kann, bin ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Stadt rein gefahren. Es war auch alles ganz toll: das Essen war sehr lecker, wir hatten Spaß und ich bin nach ein ganz paar Stunden dann wieder nach Hause gefahren. Wieder mit der Bahn. Also auch wieder etwas mehr zu Fuß unterwegs als wenn man nur von der Tür zum Auto geht und dann vom Auto wieder zur Tür. Weil ich ja eher ungute Erfahrungen mit nässenden Stellen am Stumpf gemacht hatte, habe ich mir dann zu Hause direkt mal besagte Stelle angeschaut und durfte leider feststellen, dass sie nicht nur genässt hatte, sondern leider auch ein ganz kleines bisschen geblutet. Ja, weil die gesamte Situation wirklich genau so aussah wie am Anfang von meiner Entzündung, hatte ich wirklich ein ziemlich schlechtes Gefühl. Aber was will man an einem Samstagnachmittag schon Machen? Vielleicht war’s ja auch einfach nur eine ganz normale Druckstelle. Ich habe die Prothese also in die Ecke gestellt und den restlichen Tag ganz normal auf Krücken bestritten. (Ja, das ist für mich schon normal.) Es stand ein Polterabend mit vielen Freunden und viel Spaß an. Eben wie es sich für einen Polterabend gehört.

Wir haben wirklich schön gefeiert und ich hatte sehr viel Spaß. Wie das aber bei mir bei solchen Feiern so ist, gibt es immer wieder mal auch ein großes Tief. Denn wenn ich mich so freue und für andere auch freue, was sie nicht alles machen können, dann gibt es diesen einen Moment in dem mir schlagartig bewusst wird, was gerade eben nicht geht. Dazu kommt an solchen Abenden, dass sehr viele Leute da sind, die auch wirklich wissen möchten wie es einem geht. Sie meinen diese Frage auch durchaus ernst und ich möchte ihnen im Grunde auch eine ernst gemeinte Antwort geben. Das hat an dem Abend dann dazu geführt dass ich in ein ganz tiefes Loch gefallen bin.

Plötzlich kam genau das, was ich den Abend versucht hatte zu unterdrücken, einfach hoch. Diese Unsicherheit, ob es jetzt wieder eine Entzündung ist oder nicht. Diese Unsicherheit, ob ich meine Prothese tragen kann oder nicht. Diese Unsicherheit, ob es jetzt wieder dazu führt, dass es die nächste OP gibt und sich wieder alles um Wochen verlängert. Ja und dann war ich einfach fertig, konnte nicht mehr und alles was noch ging war mich in die Ecke zu verkriechen und einfach mal zu heulen.

Es war irgendwie als stünde ich vor einem unendlich großen Berg. Noch dazu, weil mir das Belasten des linken Beines einfach wirklich unendlich schwer fällt. Ich weiß nicht wie ich mein Kopf davon überzeugen kann „einfach“ zu belasten und damit genau das zu tun, was er ein Leben lang gemacht hat. Da hat mich dieses vergangene Jahr scheinbar völlig aus der Bahn geworfen. Diese beiden Sachen zusammen und ich wusste einfach nicht wie es weitergehen soll. Noch sehr viel weniger wusste ich, wie ich überhaupt bis dahin gekommen bin, wo ich jetzt bin. Dazu hat mich dann noch geärgert, das es jetzt einfach eine so vermeintliche Kleinigkeit ist, die mich völlig aus der Bahn werfen kann. Der kleine Tropfen, der mein Fass zu überlaufen zu bringt. Es gibt irgendwie keinen Toleranzbereich mehr bei mir. Diese Stimme die ich immer gehört haben, die wie ein Mantra ein Jahr lang in meinem Kopf saß und sagte: „Du bist stark. Du schaffst das. Du kannst das.“ Sie ist zur Zeit wirklich nur ganz ganz schwer zu verstehen. Sie klang auch definitiv mal überzeugender als am vergangenen Wochenende.

Ich weiß es heißt: „Manchmal denkst du: nur noch eine Schritt geht. Wenn du das oft genug getan hast, bist du auf einmal oben.“ Danach habe ich im Grunde das ganze Jahr gelebt. Habe mir immer wieder gesagt: das jetzt noch und dann hast du wieder ein kleines Ziel erreicht und dann jetzt das noch alles und das nächste kleine Ziel ist erreicht. Ich habe mich auch immer darüber gefreut ein solches erreicht zu haben. Aber jetzt? Wie ist das jetzt? Jetzt ist es so, dass es gar keine x Ziele mehr gibt. Jetzt ist es so, dass ich „nur“ noch laufen lernen muss. Vielleicht ist es auch genau das, wovor ich irgendwie Angst habe. Vielleicht ist es genau das, wobei ich mir vielleicht auch einfach selbst im Weg stehe.

Jedenfalls konnte ich mich auch dank des Gesprächs mit einer Freundin wieder zusammen reißen und zurück zur Party. Es wurde noch gesungen, getanzt und gelacht und es war eine ganz tolle Feier. Am Sonntag habe ich meinen Stumpf wieder genau betrachtet und musste feststellen das die Prothesenpause gar keinen großen Effekt hatte. Die Rötung war nach wie vor da, es war nach wie vor die Stelle gut zu erkennen, die gesifft hatte, nur dass sie glücklicherweise trocken war. Das hieß für mich schon mal, dass es sich vielleicht doch gar nicht um eine Entzündung handelte, denn beim letzten Mal hat es ja auch einfach überhaupt nicht aufgehört zu nässen und die Flüssigkeit lief quasi nonstop aus meinem Bein heraus. Das war jetzt also anders und das war auf jeden Fall schon mal ein Lichtblick!
Dann kann der Montag und ich hatte ein paar Termine zu verschiedenen Therapien. Morgens stand Physiotherapie auf dem Plan. Davon hatte ich mir versprochen, dass der Physiotherapeut sich die Stelle mal angucken kann und vielleicht auch einfach mehr weiß als ich und sagen kann was das eventuell ist. Mit meiner Prothese im Wanderrucksack habe ich mich also zur Physiotherapie aufgemacht. Allerdings wusste der Therapeut auch nicht mehr als ich und sagte nur, dass wir vielleicht besser Übungen ohne Prothese machen und allgemein einfach die Muskulatur im Bein stärken. Gesagt getan, aber schlauer war ich nicht. Dann hat mein Prothesenbauer anrufen, weil ich auch immer mehr als zwei Socken unter die Prothese ziehen kann, damit sie gut sitzt. Vielleicht müssten wir die Prothese ja auch wieder etwas enger machen und dann könnte er sich direkt mein Sorgenkind anschauen. Das sollte nachmittags nach der Ergotherapie passieren.

Bei der Ergotherapie kümmern Sie sich unter anderem um die Narbe am Stumpf, dass sie schön weich ist, nicht verhärtet und auch das Gewebe drumrum geschmeidig bleibt. Das kann man unter anderem mit so einer Art Ultraschallgerät machen, das so klopft und Signale aussendet. Es fühlt sich ein bisschen wie eine Massage an. Mein Therapeut hat damit angefangen, guckt mich nach ganz kurzer Zeit völlig verblüfft an und sagt: „Oh, das blutet. Ich glaube wir hören lieber damit auf.“ Dieser Meinung war ich auch und ja, es hat tatsächlich geblutet. Allerdings wirklich nur kleines bisschen. Schnell ein Pflaster drauf geklebt und dann einfach andere Sachen gemacht und eben nicht mehr an der Narbe herum gewirtschaftet. Dann dachte ich mir, es wäre eigentlich ganz gut, wenn sich das jetzt mein Prothesenbauer anschaut, was ja auch der Fall war. Er hat festgestellt, dass es definitiv keine Druckstelle von der Prothese sein kann. Denn die müsste dann rund um das Ende des Schienbeinknochens sein und das ist in meinem Fall jetzt eben nicht so. Ja gut.

Wir haben uns also mit der Prothese befasst und mussten sie nicht enger machen. Allerdings haben wir ja dann gemeinsam herausgefunden, dass ich eventuell empfindlich bin wenn die Prothese oder der Liner an meinem Bein ziehen. Es ist doch faszinierend, dass ein Prothesenbauer so etwas allein über fragen herausfindet. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass man aus meinen Antworten nur sehr wenig herausholen kann. Aber ihm hat es geholfen. Das Ende von diesem Frage-Antwort-Spiel war dann folgendes: in dem Standard-Unterschenkelprothesensystem wird ein PinLock verwendet. Das heißt, dass unten am Liner eine Schraube fest gemacht wird (hier ein Beitrag zum Aufbau einer Prothese). Diese Schraube klickt in den Schaft der Prothese und hat so einen festen Stand. Deshalb verliert man die Prothese beim laufen nicht und man kann sie auch nicht einfach abziehen. Dadurch ist der Liner direkt mit der Prothese verbunden und auch sehr fest. Wenn man sich jetzt  das Bein anhebt, zieht das Gewicht der Prothese nach unten. Und die wiederum zieht and der Schraube, die ihrerseits an dem Liner zieht und dann zieht der Liner am Stumpf. Wie es scheint stört mich genau dieses Ziehen.

Die Lösung, die man Prothesenbauer sofort parat hatte, war dann, dass ich vielleicht auf eine Prothese mit Vakuumsystem umsteigen sollte, damit entfällt dieses Ziehen. Eine solche Prothese habe eine bessere oder andere Übertragung vom Schaft auf das Bein, weil da nur der Liner dazwischen ist und nicht noch ein bis x Paar Socken. Insgesamt ist das Gefühl was man dann hat wohl direkter (wenn ich das richtig verstanden habe). Es geht da mehr über Druck auf Knie und Scheinbein und der stört mich gar nicht so sehr. Zum Testen hatte mein Prothesenbauer vorher noch Verstärkungen in den Schaft geklebt, die die Prothese an einzelnen Stellen enger machen und das Gewicht vom Knie aus auf die Prothese übertragen wird und weniger vom Stumpf. Eigentlich soll man ja gar nicht auf dem Stumpf laufen. Diese Veränderung hat mich ganz und gar nicht gestört. Was meinen Prothesenbauer wiederum verblüfft hat. Wenn er schon was verändert hat sagen eigentlich danach sagen: „Boar, jetzt ist es eng.“ Nur ich nicht. Ich bin eben nicht so ganz normal ?!

Und weil ich eben auch nicht so ganz normal bin,  hat bei der ganzen Anprobiererei die Stelle, die vorher bei der Ergotherapie schon mal kurz geblutet hatte,  wieder angefangen zu bluten. Dieses Mal aber vom aller feinsten. Und aufhören wollte es auch nicht. Naja wir waren ja zum Glück auch fertig und wussten was wir machen wollten. Mein lieber Prothesenbauer bestellt mir also ein neues System, dieses Mal mit Vakuum. Das wird wohl Ende der Woche ankommen. Sobald es soweit ist können wir einen neuen Gipsabdruck machen und wieder mal eine neue Prothese bauen. Eventuell bestellt er dann auch direkt noch einen neuen Prothesenfuß mit, den ich testen kann und dann für später schon mal genauer weiß was ich gut oder nicht so gut finde. Meine derzeitige Prothese werden wir allerdings nicht entsorgen, für den Fall dass ich mit dem Vakuumssystem nicht zurecht komme. Denn immerhin laufen 80 % derjenigen, die eine Unterschenkelprothese benötigen, mit dem Pinlock System. Aber naja normal sein kann ja wirklich jeder, oder?

Bei meinem Hausarzt durfte ich wegen des Blutens auch direkt spontan vorbeikommen. Jetzt rufe ich euch kurz ins Gedächnis, dass beim Fädenziehen der Faden gerissen war, immer noch in in meinem Bein steckte und er nicht erreichbar war. Mein Hausarzt hat sich die blutende Stelle also angeschaut und meinte, dass es vielleicht von dem Faden käme. Er hat sich also so ein Klemm-Greif-Schere-Instrument geholt und konnte tatsächlich den Faden zu fassen bekommen und rausgezogen. Jedenfalls ein Ende des Fadens. Das andere wollte einfach nicht rauskommen. Er hat wirklich fest gezogen, aber es ist einfach nichts passiert. Er schaute dann etwas besorgt und meinte wir müssten da jetzt durch, sonst müsste ich damit ins Krankenhaus fahren und den Faden komplett raus machen lassen. Denn da hing so ein blauer Faden aus mir raus das kann man ja auch nicht einfach so lassen. Noch einmal kräftig ziehen und tatsächlich hat der Faden klein beigeben müssen und war draußen. Das ist ganz hervorragend! Denn wir vermuten, dass die Rötung wirklich nur von dem Faden kam, weil mein Körper sich über diesen Fremdkörper wenig gefreut hat. Ja bisher sieht’s ganz gut aus, es blutet nicht mehr, es ist  trocken, ich darf auch Prothese laufen solange ich eben nicht voll belaste und nicht 17 Stunden am Tag durch die Gegend laufe. Ich denke das bekomme ich hin -irgendwie. 😉
Jetzt sind also alle wieder beruhigt und glücklich und schauen mal wie sich das weiter entwickelt. Aber was kann ich anderes sagen als:

Normal kann einfach jeder.


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Kommentare

  1. Elen

    Krass! Nur Mut, Maria!

  2. […] Das möchte ich heute beantworten, schließlich habe ich das auch in meinem letzten Beitrag („Normal kann jeder„) bereits […]

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