Von Blasen und Stärke

Vielleicht hatte die liebe Schwester doch recht, als sie meine Zimmerzuteilung für ein weniger gutes Omen hielt. Denn wie so oft, wenn ich hier bin, läuft es nicht ganz rund und ich bekomme ein Belastungsverbot aufgebrummt. So auch dieses Mal. Menno, eine Woche musste ich jetzt rumsitzen und jeden Morgen sehnsuchtsvoll auf die Visite warten, um zu erfahren, was die Herren und Damen Doktoren zur Situation meines Stumpfes sagen. Wie kam es jetzt schon wieder dazu?

Es ging vielleicht schon zu lange zu gut. Wer weiß. Jedenfalls hatte ich mir eine Blase am Stumpf gelaufen. Und es war wirklich ein riesiges Teil. Es war weiß Gott nicht meine erste Blase, bestimmt jeder hatte mal Schuhe, die dann doch ein bisschen zu sehr gerieben haben. Aber so eine große kannte ich von mir nicht. Woher kam sie dann?

  • Möglichkeit 1: Druck- oder Reibestelle des Prothesenschafts
  • Möglichkeit 2: Zuviel gemacht
  • Möglichkeit 3: Luft im Liner eingeschlossen, die dann reibt

Vielleicht gibt es auch noch weitere Möglichkeiten, die mir gerade nicht einfallen. Möglichkeit 1 fällt bei mir eher aus, die Prothese sitzt dank Karsten wie angegossen, ich komme auch mit voller Belastung nicht auf dem Boden des Schafts an. Dies ist aber immer die erste Vermutung von Ärzten, ich mein, liegt ja auch nahe. Ist aber wirklich völlig ausgeschlossen, denn das hätte ich gemerkt.

Möglichkeit 2 ist in meinem Fall immer wahrscheinlich. Mir klingeln regelrecht die Ohren, weil sämtliche Ärzte unermüdlich wiederholen: „Sie dürfen ruhig auch mal auf ihrem Bett sitzen bleiben und sich ausruhen!“ Jeder, der mal ein paar Wochen ans Bett gefesselt war, wird verstehen, dass das keine wirkliche Option ist. Was soll man denn da immerzu machen? Das ist mir echt zu passiv.

Möglichkeit 3 ist der Favorit meines Prothesenbauers gewesen. Es ist schnell passiert, dass man eine kleine Luftblase im Liner hat, die auch nicht weiter auffällt. Wenn sie aber einfach an einer ungünstigen Stelle sitzt, erzeugt dieses Luftpölsterchen Reibung und das kann zu einer Blase führen. Weil ich ja eine Prothese mit Vakuumsystem laufe, ist der Schaft luftdicht verpackt. Das heißt einerseits, dass keine Luft von außen rein kann, andererseits aber auch, dass Luft, die unterm Liner ist, auch nicht heraus kann.

Soviel zu den vermeintlichen Gründen für meine neuerliche Zwangspause. Vielleicht liegt die Wahrheit auch in einer gelungenen Mischung aus allen drei. Genau kann das jetzt keiner sagen. Jedenfalls ging es mir wieder entsprechend schlecht ob dieser Pause. Vor Blasen ist man natürlich niemals gefeit. Ich werde lernen müssen damit umzugehen. Kleine kann man wohl ignorieren und weglaufen. Aber so große dann besser steril punktieren, so der ärztliche Rat. Also eine sterile Spritze aus der Apotheke besorgen, die betroffene Stelle desinfizieren und die Flüssigkeit aus der Blase raussaugen. Und generell ist so ein/zwei Tage Gehpause dann auch alles andere als schlecht. Wieder was gelernt. Beim nächsten Mal nehme ich dann lieber die zwei statt der sechs Tage.

Was ein Glück, wenn man in so einer Situation in einem Umfeld ist, in dem man sich mehr als gut aufgehoben fühlt und von freundlichen Menschen umgeben ist. Dies ist mein8. stationärer Aufenthalt im Krankenhaus meines Vertrauens. Und jedes Mal treffe ich auf Leute, mit denen ich gern weiter in Kontakt bleibe. Auch denen verdanke ich gute Erinnerungen. Es ist schön, wenn man sich mit anderen Austauschen kann, die wissen wie es ist immer wieder zurück zu kommen oder lange zu bleiben. Es tut gut zu sehen, dass andere ihre Krankenhausgeschichte beenden können.
An meinem aktuellen Aufenthalt ist allerdings etwas Besonderes. Viele von den neuen Gesichtern fragen was passiert ist und stellen auch darüber hinaus Fragen. Soweit bekannt. Aber sie gehen noch weiter und bedanken sich dafür, dass ich ihnen Lebensfreude vermittle und zeige, dass es auch nach einem tiefen Einschnitt weiter geht und man den Kopf nicht hängen lassen muss. Ich freue mich, dass ich genau das ausstrahlen kann, selbst wenn es nicht so rund läuft. Und so habe ich aus genau diesen Kommentaren selbst wieder Kraft geschöpft, um diese Woche zu überstehen. Schön ist auch, dass ich eine Frau kennen lernen durfte, die ihren Kopf nicht hängen lässt und auch weiter macht. Susanne ist 55 Jahre alt und hat für meinen Geschmack bei zu vielen Krankheiten „hier“ gerufen und dann auch noch Pech gehabt. Jetzt liegt sie tagein tagaus in ihrem Krankenhausbett und hat ihren Humor nicht verloren. Sie erzählt aus dem Leben und nimmt Anteil am Leben der anderen. Ich sehe da eine starke Persönlichkeit, von der wir uns alle eine Scheibe abschneiden können! Ich bin froh sie kennen gelernt zu haben und genieße es mich mit ihr auszutauschen.

Am siebten Tag durfte ich wieder beginnen zu belasten: vormittags und nachmittags je eine Stunde mit Prothese. Welch eine Qual, wenn man vom süßen Honig des freien Laufens bereits wieder gekostet hat. Und das allererste Mal habe ich mich wirklich gefragt, ob Ärzte wohl wissen, was sie ihren Patienten manchmal antun. Wenn sie sagen am nächsten Tag dürfe man bestimmt wieder belasten und dann kommt genau dieser Tag und es heißt noch einmal „morgen„. Und dann solle man nicht mal da weiter machen, wo man vorher war, sondern den Stumpf in Etappen wieder eingewöhnen. Ich zweifle keineswegs an den Aussagen von Prof. R. und/oder Dr. L. Dazu haben sie mir nie auch nur einen klitzekleinen Grund gegeben. Dennoch ist genau das für mich schwerer zu ertragen als all die OPs, die teilweise nichts ausrichten konnten.

Geduld ist eine Tugend, die ich noch immer nicht beherrsche. Immerhin darf ich seit Anfang der Woche bereits an Geräten trainieren. Arme und Oberkörper sind ja fit und gesund und dürfen ackern. Also war ich jeden Tag eine Woche im Geräteraum und habe jede Minute des Sports genossen und mich gefreut, wenn der letzte Satz  große Anstrengung verlangt hat. Und auch wenn sich kein Muskelkater eingestellt hat, ist es ein unbeschreibliches Gefühl zu wissen, wieder etwas getan zu haben!


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Kommentare

  1. Elen

    „Ich freue mich, dass ich genau das ausstrahlen kann, selbst wenn es nicht so rund läuft. Und so habe ich aus genau diesen Kommentaren selbst wieder Kraft geschöpft, um diese Woche zu überstehen.“ – So kenne ich Dich! Das stimmt wirklich! Weiterhin viel Kraft und bis bald!!!

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